Letzte Worte
abzog, gab es so gut wie keine Möglichkeit, den Baum völlig zu säubern. Das Holz hatte die Spur des Todes so aufgesaugt, wie es den Rauch eines Feuers aufsaugen würde.
» Glauben Sie noch immer, unser Mörder ist ein neunzehnjähriger Junge, der bei seinem Vater wohnt? «
Der Wind peitschte vom Wasser her, während Lena den Baum anstarrte. Tränen traten ihr in die Augen. Ihre Stimme zitterte. » Er hat gestanden. «
Will sagte ihr Tommys Worte noch einmal vor. » ›Ich wurde wütend. Ich hatte ein Messer bei mir. Ich habe sie einmal in den Hals gestochen.‹ « Dann fragte er: » Haben Sie in der Garage Blut gefunden? «
» Ja. « Sie wischte sich mit dem Handballen die Augen ab. » Er wollte es eben wegputzen, als wir dazukamen. Ich sah einen Eimer, und da war… « Sie hielt inne. » Da war Blut auf dem Boden. Ich habe es gesehen. «
Will krempelte seine Hosenbeine wieder hinunter. Seine Schuhe sanken am Fuß des Baums in den Schlamm. Er sah, dass sich in die Erde eine neue Farbe gemischt hatte, ein dunkles Rostrot, das sich im Gewebe an der Spitze seines Turnschuhs ausbreitete.
Auch Lena sah es. Sie fiel auf die Knie, grub die Finger tief in den Boden und packte eine Handvoll Erde. Die Erde war nass, aber nicht nur vom Regenwasser. Sie ließ den Schlamm wieder auf den Boden fallen. Ihre Hand war dunkelrot, fleckig von Allison Spooners Blut.
10 . Kapitel
L ena drückte sich ein nasses Papierhandtuch in den Nacken. Sie saß mit dem Rücken an der Wand der Kabine in der Toilette des Umkleideraums. Ein Streifenpolizist hatte die Tür geöffnet, als sie trocken würgend vor dem Waschbecken stand, und sich wortlos wieder umgedreht.
Einen starken Magen hatte Lena noch nie gehabt. Ihr Onkel Hank sagte immer, sie hätte nicht den Mumm für das Leben, das sie führte. Es hätte ihm kein Vergnügen bereitet, jetzt zu sehen, dass er recht hatte.
» O Gott « , flüsterte sie, und es hätte beinahe ein Gebet sein können– etwas, das ihr schon lange nicht mehr über die Lippen gekommen war. Wo war dieser dumme Junge da bloß hineingeraten? Was hatte sie sonst noch übersehen?
Sie schloss die Augen. Im Augenblick ergab gar nichts mehr einen Sinn. Nichts passte mehr so zusammen, wie es gestern Vormittag noch zusammengepasst hatte.
Er hatte es getan. Lena wusste, dass Tommy Allison umgebracht hatte. Einen Mord gestand man nur, wenn man schuldig war. Außerdem hatten sie, kaum fünfzehn Minuten nachdem sie das Mädchen aus dem See gezogen hatten, Tommy in Allisons Wohnung gefunden, wo er ihre Sachen durchsuc ht hatte. Mit einer schwarzen Skimaske auf dem Kopf. Er rannte davon, als sie ihn stellen wollten. Er stach Brad in den Bauch, auch wenn es nur mit einem Brieföffner war. Lena hatte es mit eigenen Augen gesehen. Sie hatte Tommys Geständnis gehört. Sie hatte zugesehen, wie er alles in seinen eigenen, dummen Worten niederschrieb. Und er hatte sich umgebracht. Die Schuld hatte zu schwer auf ihm gelastet, und er hatte sich die Handgelenke aufgeschlitzt, weil er wusste, dass es falsch war, was er Allison angetan hatte.
Also warum zweifelte Lena dann an sich selbst?
Verdächtige logen die ganze Zeit. Sie wollten nie all die Abscheulichkeiten zugeben, die sie begangen hatten. Sie betrieben Haarspalterei. Sie gaben Vergewaltigung zu, aber nicht Mord. Sie gaben einen Schlag zu, aber keine Prügelei und kein Erstechen. War es so einfach? Hatte Tommy gelogen, als er sagte, er hätte Allison in der Garage umgebracht, weil er das Verbrechen verständlicher machte wollte, so als wäre es aus dem Affekt heraus geschehen?
Lena drückte den Kopf gegen die Wand.
Das blöde Profil, mit dem Will Trent dahergekommen war, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Kalt. Berechnend. Vorsätzlich. Das war nicht Tommy. Er war nicht klug genug, um an alle Variablen zu denken. Er hätte im Voraus planen, sich die Waschbetonsteine und die Kette besorgen und sie vor der Tat an den See schaffen müssen. Auch wenn Tommy die Blöcke erst nach der Tat geholt hätte, er hätte das Blut einplanen müssen und auch, dass der Regen seine Spuren verwischte.
So viel Blut. Der Boden war getränkt damit.
Lena kniete sich hin, den Kopf über der Toilettenschüssel. Ihr Magen verkrampfte sich, aber da kam nichts mehr. Sie kauerte sich auf die Hacken und starrte den Wasserkasten an. Das kalte, weiße Porzellan starrte zurück. Das war ihre Kabine, ganz allein ihre Kabine. Diese Toilette war das einzige Fleckchen, das sie in dem
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