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Letzte Worte

Letzte Worte

Titel: Letzte Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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aber ihr Drang, sich vor Will Trent zu verstecken, war schwer zu überwinden. Larry Knox hatte Frank erzählt, dass Will Trent ein Anzugtyp war, kein wirklicher Bulle. Lenas erster Eindruck war genau der gewesen. Mit seinem Kaschmirpullover und dem metrosexuellen Haarschnitt sah Will aus, als würde er sich eher hinter einem Schreibtisch wohlfühlen und pünktlich um fünf Uhr nach Hause zu Frau und Kindern gehen. Die alte Lena hätte ihn als Blender abgetan, der ihr nicht ebenbürtig war und die Marke nicht verdiente.
    Diese alte Lena hatte sich mit ihren vorschnellen Urteilen so oft die Finger verbrannt, dass sie praktisch darauf wartete, es mit gleicher Münze heimgezahlt zu bekommen. Jetzt konnte sie ihre eigenen Vorurteile durchschauen und dahinter die Wahrheit erkennen. Will war von der Deputy Director zu ihnen geschickt worden, die nur einen Herzschlag von ganz oben entfernt war. Lena hatte Amanda Wagner vor vielen Jahren einmal kennengelernt. Sie war eine verdammt harte Nuss. Auf keinen Fall würde Amanda ihre zweite Wahl hierherschicken, vor allem nicht wenn Sara Linton sie um Hilfe gebeten hatte. Will war vermutlich einer der besten Ermittler in ihrem Team. Er musste es sein. In weniger als zwei Stunden hatte er Lenas Fall gegen Tommy Braham in einen Scherbenhaufen verwandelt.
    Und jetzt musste sie hier raus und ihm wieder gegenübertreten.
    Lenas Füße schmerzten noch von der langen Wanderung durch den Wald. Ihre Schuhe waren völlig durchnässt. Sie ging zu ihrem Spind. Die Kombination ihres Zahlenschlosses fiel ihr nicht mehr ein. Sie drückte die Stirn an das kühle Metall. Warum war sie eigentlich noch hier? Mit Will Trent konnte sie nicht so weitermachen. Inzwischen waren so viele Lügen und Halbwahrheiten in der Welt, dass sie sich gar nicht mehr an alle erinnern konnte. Ständig stellte er ihr Fallen, und bei jeder wurde das Gefühl stärker, dass irgendeine gleich zuschnappen würde. Sie sollte nach Hause gehen, bevor sie zu viel sagte. Wenn Trent sie stoppen wollte, musste er es mit Handschellen tun.
    Die Kombination fiel ihr wieder ein. Lena drehte die Wählscheibe und öffnete den Spind. Sie schaute ihre Regenjacke an, ihre Kosmetiksachen, den Plunder, der sich im Lauf der Jahre angesammelt hatte. Von alldem brauchte sie jetzt nur die Ersatzturnschuhe, die unten auf dem Boden standen. Sie wollte die Tür schon wieder schließen, doch im letzten Augenblick fiel ihr noch etwas ein. In einer Schachtel Tampons hatte sie ein Foto von Jared, das vor drei Jahren aufgenommen worden war. Er stand vor dem Sandford-Stadion der University of Georgia. Auf dem Vorplatz wimmelte es von Menschen. Georgia spielte gegen LSU . Er war umringt von einer Gruppe Studenten, aber er war der Einzige, der in die Kamera schaute. Der Lena anschaute.
    Das Foto hielt den Augenblick fest, in dem sie sich in ihn verliebt hatte– vor dem lauten Stadion, umgeben von betrunkenen Fremden. Lena war es tatsächlich gelungen, den Augenblick, der ihr ganzes Leben verändert hatte, auf Film zu bannen. Wer wohl da wäre, um den Moment einzufangen, wenn diese Veränderung sich in Luft auflöste?
    Wahrscheinlich der diensthabende Beamte, der ihr Verbrecherfoto schoss.
    Die Tür sprang auf. Vier Streifenbeamte kamen herein, so ins Gespräch vertieft, dass sie Lena kaum beachteten. Sie steckte Jareds Foto in ihre Gesäßtasche. Ihre Socken waren tropfnass, doch ihre Reserveschuhe zog sie trotzdem an. Sie wollte nur hier raus. Sie würde durch den Bereitschaftsraum gehen, direkt an Will Trent vorbei, in ihr Auto steigen und nach Hause zu Jared fahren.
    Lena würde noch heute Abend anfangen zu packen. Sie würde eine derjenigen sein, die für die Bank ihren Hausschlüssel in den Briefkasten warfen. Ihr Auto war in gutem Zustand. Sie hatte genug Ersparnisse für drei Monate, für vier, falls Jared nicht erwartete, dass sie sich an der Miete beteiligte. Sie würde bei ihm einziehen und versuchen, über das alles hinwegzukommen, versuchen, einen Lebensweg zu finden, ohne Polizistin zu sein.
    Wenn sie wegen Behinderung einer Ermittlung nicht ins Gefängnis kam. Wenn sie nicht wegen Pflichtverletzung verurteilt wurde. Wenn Gordon Braham sie nicht in Grund und Boden klagte. Wenn Frank nicht Jared Gift ins Ohr flüsterte. Gift, das Jared glauben würde, denn das Großartige an den Lügen war, dass die Leute sie glaubten, solange sie nur dicht genug an der Wahrheit blieben.
    Lena knallte den Spind zu und drückte die Hand gegen das kalte

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