Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Weihnachtsferien, wenn wir fit sind wie die kukanesischen Mungos, kurbeln wir die Chose runter.“
„Jetzt mal langsam mit die jungen Pferrde!“ ließ sich wieder der Bass vernehmen, und Libussa Dünnleder, seine Frau, fiel ein: „Und die Rollen für die älteren Semester...?“
„...stellen wir“, ergänzte ein lächelnder Regisseur. „Edel, Chef, denn Sie sind auf alle Fälle der alte Moor , meiner Wenigkeit fällt die Rolle des Franz zu. Onkel Glaubrecht,“ – Erdmann Jansen wandte sich an den Bruder des Chefs, einen hageren Mittfünfziger mit Spiegelglatze und langem Weißhaar, der an Werner Finck erinnerte –‚ „du stellst den Pastor Moser dar. Die Amalia gibt unsere maulfertige Landsfrau aus Karl-Marx-Stadt. Der Gustav Patzke kann den Roller abgeben, und sogar einen Spiegelberg habe ich entdeckt, ein Jungtalent namens Wilhelm Widulle, der die Rolle, wenn mich nicht alles täuscht, schon schmeißen wird...“
„Und den Karl Moor macht ein auf jugendlich getrimmter, gewisser SED-Bezirks-Natschalnik aus Dräsdn“, hänselte Richlind im breiten Dialekt der Südprovinz, der die Konsonanten aufweicht und die Vokale verdumpft.
„Der Modrow“, rief es im Chor von allen Seiten, bevor minutenlang anhaltendes Gelächter ausbrach.
Erdmann Jansen musste lächeln. Er klatschte in die Hände wie ein Gruppenvorsitzender der Jungen Pioniere; das wirkte. „Macht keinen Fez!“ sagte er in die mit einem mal entstandene Stille. „Den Leipziger-Karl soll auch ein Oberschüler spielen, ein gewisser Johannes La Bruyère, ein Freund von unserem Gustav hier.“
„O Gott“, stöhnte es im Kreis, „ein Vertreter der allerchristlichsten Blockpartei!“
„Bevor ihr mir ins Gesicht springt: Den jungen Mann kennt ihr bereits, der war schon hier, nach dem Debüt vom Gustav; untersetzt und dunkelblond, sehr intelligent und reifer als die meisten Mitschüler, und dabei gutaussehend. Keine Sippenhaft also! Jedenfalls habe ich in den letzten Tagen eine gründliche Auswahl getroffen und schon mit allen probiert, um ganz sicherzugehen.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „In einer knappen Stunde werden sie hier antanzen, um sich dem Ensemble vorzustellen, und dann...“ Weiter kam er nicht, denn tosender Beifall, vor allem aber Dünnleders Bass dröhnte, wie lange nicht mehr: „Himmelherrrgottsakrrament, Errdmann, was bist du doch fürr ein rrechterr Teufelsbrraten!“ Alles lachte wieder und rief durcheinander; ein befreites Aufatmen machte die Runde nach langen Wochen der Bedrückung und Niedergeschlagenheit, während deren zu allem Überfluss auch noch der jugendliche Held und Liebhaber, Gunter Xander, der designierte Verlobte Richlinds, den Einberufungsbefehl zur Fahne erhalten hatte.
Der knorrige Alte erhob sich, umarmte Erdmann Jansen und schmatzte ihn auf beide Wangen. „Du bist doch nicht der Leonid selig!“ schmollte Richlind, worauf der Angesprochene wie ein Bär täppisch und abschätzig abwinkte und seiner Enkelin zugrunzte: „Ach was, gib ihm halt auch ein tüchtiges Bussel, verdient hätte er es redlich!“ Das Mädchen schickte sich an, ihrem Großvater unter dem Beifall und Gefeixe der Kollegen anstandslos zu Willen zu sein, nur ihr Verlobter in spe, Gunter Xander, warf seine Stirn in Falten und verschränkte ostentativ die Arme über der schmalen Brust.
Erdmann Jansen hingegen wollte wieder Platz nehmen, er schien ein wenig irritiert, doch das Mädchen war gefasst rasch aufgestanden, ihrem Verlobten einen herausfordernden Blick zuwerfend, und mit geschwinden Schrittchen zu ihrem Regisseur hin getrippelt. Sie stellte sich absichtlich so, dass sie ihn gegen die anderen verdeckte und selbst ihnen den Rücken zuwandte. Schnell erfasste sie seinen Kopf mit beiden Händen, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm – einen Unterschenkel angezogen – mit offenen Lippen einen langen und leidenschaftlichen Kuss, bevor sie von ihm abließ. Dabei vermied sie es, ihm in die Augen zu sehen; ihre Wangen glühten noch dunkelrot, als sie sich umwandte und wieder – unter fröhlichem Lachen und beifälligem Klatschen – zu ihrem Platz zurücklief. Xander aber stand daneben und schaute wütend drein. Erdmann Jansen war bemüht, seine Verlegenheit zu verbergen, indem er in seinem Regiebuch blätterte. Der heißblütige Kuss seiner Kollegin hatte ihn ziemlich verwirrt. Warum hat sie mich so geküsst, geknutscht? fragte er sich. Hat sie Gunter eifersüchtig machen wollen, oder will sie mir den Kopf
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