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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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nahe daran, vor den
Schwierigkeiten zu kapitulieren und den Bettel hinzuschmeißen. Sein angeborener Ehrgeiz erlaubte das selbstredend nicht, so dass er verbissen weiter probierte, bis er endlich den Eindruck gewann, mit Hilfe Erdmann Jansens schließlich vielleicht doch Zugang zu dieser epochalen Gestalt finden zu können; also rief er „uffm Berch“ an, um zuzusagen.  
    Erdmann Jansen freute sich unbändig und schlug vor, ihn am besten zu Hause aufzusuchen, da man im Ensemble von seinem Vorhaben nichts erfahren sollte, bevor die Besetzungsfragen geklärt seien.
    Und am gleichen Tag noch probierten sie drei Stunden lang einen Monolog und etliche Sätze aus dem Zwiegespräch des Karl mit dem Spiegelberg. „Edel“, lobte Erdmann Jansen und war also zufrieden. So ward beschlossen, die Rolle mit Johannes zu besetzen. Auch unter den Fußball spielenden Klassenkameraden fand der Regisseur eine Handvoll Schüler, mit der er einen Versuch zu wagen gedachte, wobei er allerdings vorsorglich für die gewichtigeren Rollen gleich eine doppelte Besetzung vormerkte.
    Eine unüberwindlich scheinende Hürde galt es jedoch noch zu überwinden; Für die Rolle des Spiegelberg konnte er keinen geeigneten Kandidaten finden. Den schrankenlosen Nihilismus und halbverrückten Größenwahn dieses dekadenten, von Ehrgeiz zersetzten, ruhmbesessenen Subjekts darzustellen, verlangte strenggenommen einen Mimen reifen Könnens. Erdmann Jansen probierte nacheinander auf der Terrasse des Bungalows Bauernheide mit drei Jungens, worüber ein ganzer Nachmittag verstrich, ohne dass ein nennenswertes Ergebnis dabei herausgekommen wäre.  
    Wie ein Blitz aus heiterem Himmel ereignete sich etwas Unverhofftes: Erdmann Jansens Blick fiel rein zufällig, als er schon fast resignierend eine Pause ansetzte, auf einen Jungen, den er bisher noch nicht gesehen hatte. Es handelte sich um Willi Widulle, der sich nicht unter den Fußballspielern befunden hatte, sondern gerade erst vor einer Viertelstunde auf den Plan getreten war, eigentlich nur aus Freundschaft und Gefälligkeit gegenüber Johannes und Gustav, keinesfalls hingegen in der Absicht, mitwirken zu wollen. Er hatte gerade am Mittwoch einen Aushilfsjob angenommen bei Gottlieb Sieland, der in der Puschkinallee in einer Hinterhofgarage Fernsehreparaturen annahm, um während der Ferien etwas verdienen und zum Lebensunterhalt des Familienhaushalts beisteuern zu können. Er hatte gerade Feierabend und war, um nicht zu stören, leise herangepirscht; nun hockte er mit angezogenen Knien neben dem Springbrunnen im Gras.
    Erdmann Jansen warf ihm einen forschenden Blick zu und ließ ihn eine Weile auf Willi ruhen, ehe er fragte, ob der Mäuschen spielende Junge auch zu den Oberschülern gehöre; Willi trug natürlich noch seinen geflickten Blaumann, da er direkt von der Arbeit hergekommen war. „Darf ich bekannt machen?“ rief Gustav übermütig, wie gleichzeitig belustigt. „Der Regisseur vom Kuhle-Wampe-Ensemble und Wilhelm Widulle, ein Klassenkamerad von uns, vor allen Dingen aber ein guter Freund.“ Willi rappelte sich in seiner schlaksigen Art auf, Erdmann Jansen beobachtete interessiert den lang aufgeschossenen Jungen mit der riesigen Hakennase und der schlechten Haltung.
    „Was ist?“ fragte er, „hast du nicht auch mal Lust, den Spiegelberg zu versuchen?“  
    „Niemals!“ wehrte Willi sogleich mit Händen und Füßen ab. „Für so was fehlt mir absolut das Zeug!“
    „Sag niemals nie – vorher“, entgegnete Erdmann Jansen, „probieren geht über studieren; deine Klassenkameraden sind alle keine geschulten Schauspieler, haben aber bereits zugesagt mitzuspielen, um unserem Ensemble aus der Patsche zu helfen.“
    Willi hob die Augenbrauen, so dass der Regisseur geschwind nachschob: „Weißt du eigentlich, worum es geht in diesem Stück?“
Willi Widulle unterdrückte ein Grinsen. „Tja“, meinte er gedehnt, „schließlich bin ick ja schon een Weilchen Zeuje der bedeutsamen Jeschehnisse jeworden.“
    „Na, denn kannste ja jleich bejinnen“, bestimmte Erdmann Jansen sogleich entschlossen und drückte dem Jungen einfach das Textbuch mit der aufgeschlagenen Szene Schenke an der Grenze zu Sachsen in die Hand. „Det Berlinern lassen wa awa jetze, wa“, mahnte er noch und fügte pointiert hinzu: „Und sprechen ab sofort nur noch hochdeutsch, nicht wahr?“  
    Wilhelm Widulle tat wie geheißen: „ Spiegelberg wird es heißen in Osten und Westen, und in den Kot mit euch, ihr Memmen, ihr

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