Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
kommunistischen Gefängnis zu sitzen, von einem kommunistischen Gericht angeklagt und sogar verurteilt, diese Gedanken sind schier unerträglich. Ich habe meine ganzen Abwehrkräfte gegen diese Verhörtechniken, Drohungen und Tricks mobilisiert. Gegen die letztliche, schon vorher feststehende Verurteilung wegen Bildung einer `staatsfeindlichen, konterrevolutionären Gruppe´ war kein Kraut gewachsen. Am schlimmsten war das Schweigen der Freunde zum Prozess. Meinem lahmen Anwalt fiel für mich als Trost lediglich die Geschichte vom kunstfördernden Mongolen-Großkhan Timur-Leng ein, der in die Mauer, mit der er sein Reich gegen die Umwelt abschottete, lebendige Menschen vermauert habe. `Der Diktator Tamerlan, der Lahme´, führte er dumpf aus, `hielt seine sogenannte Mauer des Rechts – so wie unser Zar von Volvograd seinen antifaschistischen Schutzwall – solcher Menschenopfer wert; das Gemeinwesen erfordere zuweilen eine Rechtssicherheit, die der Gerechtigkeit vorangehen müsse, es seien also Fälle denkbar, in welchen einzelnen Menschen zu Recht unrecht widerfahre, indem die Macht, sprich: die Diktatur des Proletariats, von Erfolg begleitet, Recht bewirke...´ ich habe kotzen müssen!
Was folgte, war der dunkle Tunnel, der sich mit ganzem Schrecken vor mir auftat: strikte Isolierhaft mit der Nummer 33/78, preußisch-militärisch geregelter Tagesablauf mit Meldungmachen und Habachtstehen, allmorgendliches Abzählen, die seltenen Besuchs- und Schreiberlaubnisse, letztendliche Scheidung, und doch – irgendwo rational nicht begründbar – der lebendige Glaube in mir, dass einmal die Stunde schlage, ab der Recht und Anstand und Moral triumphieren. Aber die Zeit! Sie droht wegzulaufen! Was kommt nach dem Knastaufenthalt? Eine Blutvergiftung bei versuchtem `illegalen Grenzübertritt´ am Stacheldraht der inhumanen Demarkationslinie, eine ärztliche Hilfe, die erst gar nicht, dann viel zu spät kam, ein halber Fuß wurde amputiert, seither quäle ich mich mit der teilweise offenen Narbe am Bein vom Knöchel bis zum Gesäß, eine kaum sichtbare, aber gleichwohl schwerwiegende Behinderung. `Hast noch mächtigen Massel gehabt, Genosse Häftling´, meinte der Arzt freundlich nickend, `viel schlimmer wär´s gewesen, wenn wir dir auch noch das Knie hätten abnehmen müssen.´ Mir stockte der Atem, meine Kehle war wie ausgedörrt, und ich riss die Augen auf. `So kannst du mit einem anständigen Orthopädieschuh locker weiter Theater spielen, Genosse, wenn du dich erst mal daran gewöhnt hast. Die Beinwunde wird verheilen, brauchst es nur immer tüchtig einzusalben.´ Merkwürdig, wir Menschen: Es währt gar nicht so lange, wie man denkt, bis man so was gefressen hat! Das Schlimmste ist der erste Schreck, dann kommt der Selbsterhaltungstrieb, und man ist froh, überhaupt durchgekommen zu sein. Den inneren Schweinehund besiegt das Gewohnheitstier, das einen denken lässt: Weitaus besser, als im Stacheldrahtverhau zu verrecken.
Mein Chirurg war in Ordnung: Er hat von Verwandten aus dem Westen einen tadellosen orthopädischen Schuh organisiert; ich bräuchte ihn erst irgendwann einmal zu bezahlen, wenn ich viel Geld verdiene. Wie großherzig!
So blieb es mir erspart, wie andere Amputierte am Krückstock daherhumpeln zu müssen, was bei meinem Beruf einer Katastrophe gleichgekommen wäre. Aber es sollte sich zeigen, dass es trotz Spezialschuh schwierig genug blieb, ein zusagendes Engagement zu finden. Zunächst noch voller Hoffnung und Zuversicht, dass mein Talent die fast unauffällige Behinderung unwirksam machen und mir den Weg zu einer Karriere ebnen würde, die meinem Können entspräche, bewarb ich mich an der Volksbühne. Einen Raum in der elterlichen Wohnung konnte ich Gott sei Dank behalten, so dass ich wenigstens eine Bleibe hatte und recht und schlecht von der Unterstützung gleichgesinnter Freunde leben konnte, bis ich ein Engagement gefunden haben würde. Bereits zwei Tage nach meiner schriftlichen Bewerbung erhielt ich zu meiner Überraschung und Freude eine Einladung zum Vorsprechen.
Ich spielte eine Szene des Mephisto vor und faszinierte die Herrschaften im Parkett derart, dass sie auf weitere Begabungsproben verzichteten. Sie forderten mich vielmehr auf, mich in einer Viertelstunde im Direktionsbüro einzufinden.
Ich war selig und glaubte schon gewonnen zu haben. Doch was dann folgte, war der grausame Absturz aus der Höhe des bereits verspürten Triumphes; mit peinigender Deutlichkeit blieb mir jede
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