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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Kröten, indes Spiegelberg mit ausgebreiteten Flügeln zum Tempel des Nachruhms flieget empor.“ Willi Widulle stand fest wie die eherne Statue eines Turmspringers, und Erdmann erkannte alsbald, dass der äußerlich verschlossen wirkende Knabe an die Sache mit verbissener Energie heranging, die er für eine ausreichende Basis ansah, diesen ehrgeizigen Anarchisten in Kürze mehr als ansatzweise in Szene setzen zu können. Der Junge schien sich derart in die Rolle hineinzuleben, dass er gewiss auch imstande sein würde, die unbezähmbaren Ausfälle dieses Größenwahnsinnigen darstellerisch zu bewältigen.  
    Erdmann Jansen atmete erleichtert auf, weil er endlich auch für diese bedeutsame Rolle einen Exponenten ausfindig gemacht hatte und somit den Chef der Truppe, Dünnleder, am nächsten Morgen bitten konnte, das Ensemble zusammenzurufen, da er – den weiteren Spielplan betreffend – einen wichtigen Vorschlag zu machen hatte.
    „Ich glaube“, hob Erdmann Jansen am folgenden Vormittag an und sah in jedes der erwartungsvollen Kollegengesichter, „ich weiß ein personenreiches Stück, das wir trotzdem spielen können, das uns ein garantiert volles Haus bringen wird und das sich verfilmen lässt, wenn unsere Ausstattung hoffentlich in den nächsten Wochen wieder instandgesetzt sein wird, und uns überdies vielleicht einen wirklichen Lichtspielerfolg beschert, weil es in einem gewissen Sinn genauso aktuell ist wie unverdächtig.“
    Ungläubig schauten sie ihn an. „Was denn? Wie heißt es denn? So sag doch schon!“ kam es von allen Seiten, als er nicht gleich weitersprach; Dünnleder nahm sogar seine unangezündete Havanna aus dem Mundwinkel und richtete seine Elefantenäuglein gespannt auf Erdmann Jansen, dessen Gesicht sich mit einem wissenden Lächeln überzog, da er annahm, sie würden ihn für verrückt erklären. Und da ihn Dünnleder aufforderte, sie gefälligst nicht stasimäßig auf die Folter zu spannen, beeilte er sich, kurz und klar, als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre, mit zwei Worten zu erklären: „ Die Räuber! “  
    Man lachte zunächst spontan wie über einen gelungen Witz. Aber schon begannen einige Ensemblemitglieder ärgerliche Gesichter aufzuziehen. Der betagte Chef brummte grollend in seinem tiefsten Bass, wie der Bär, dem man den Honignapf vor die Nase gehalten und wieder weggeschnappt hat: „Prrächtige Idee, in derr Tat: Meine Olle spielt den Rräuberhauptmann, wa, und statt derr nicht vorhandenen Rräuber legen wirr rrechts und links ausgestopfte Knobelbecherr derr Nationalen Volksarrmee in die Kulissen, damit es herrschaut, als ob da die Banditen liegen täten und ihrre unterrweltlerrischen Haxen ausstrreckten! Ach komm, Errdmann, zu solchen Hanswurrsterreien ist jetzt wirrklich nicht derr rrichtige Augenblick, dazu hättste uns nich zusammentrrommeln brrauchen!“
    Womit er sich schwerfällig aufrichtete, verärgert und enttäuscht knurrte, sich den unvermeidlichen Zigarrenstummel wieder in den linken Mundwinkel schob und entzündete, um lautstark eine Serie gleichförmiger Rauchringe in den Raum zu paffen.
    Erdmann Jansen hatte die Tirade lächelnd über sich ergehen lassen und antwortete gelassen: „Ach geh, Chef, aber ich rede in vollem Ernst!“ Und als alle sich verwundert anblickten, fuhr er trocken fort: „So hört mich doch zunächst einmal an! Ich denke, wir können det ja wohl noch, oder?“ Dabei schaute er sich in der Runde um. „Bevor ihr mich gleich auffresst, lasst euch gesagt sein, dass der Schiller sein Drama schließlich im Alter von zwanzig Jahren verfasst hat, in der Karlsschule, ja! Waren seine Räuber nicht auch am Anfang Studenten, junge Menschen halt, ein wenig fanatisch, aber sehr begeisterungsfähig? Das bejaht mir!“  
    Der Ausdruck in den Mienen seiner Berufskollegen zeigte alle Schattierungen von Verblüffung und Ratlosigkeit, wobei einige nicht eben geistreich drein sahen. Nur Richlind, die einen Bodensatz ihrer sächsischen Muttersprache nicht verleugnen konnte, sagte schlagfertig: „In Stuttgart, jawoll, und haben geschwäbelt wie die Affen!“
    Da waren die Lacher auf ihrer Seite, aber Erdmann Jansen nutzte die gelungene Pointe, rasch fortzufahren: „Und wegen der Besetzung will ich euch die Bauchschmerzen von vorneherein ersparen: Für die Bande nehmen wir uns einfach Oberschüler, die haben noch ein paar Tage Ferien, Zeit genug für die Proben; hernach sind sie abends frei, wenn die Vorstellungen laufen, und in den

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