Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Einzelheit des nun folgenden Auftritts in meiner Erinnerung haften.
Vor meinem inwendigen Auge läuft immer wieder die Szene aus dem Direktionszimmer ab: Die Herrschaften sind darin versammelt und zusätzlich ein Herr mit dem Märchenauge am Revers, den ich stutzen sehe, als ich – das linke Bein leicht nachziehend – eintrat; höre noch genau, wie er loslacht: `Na, da sieh mal einer kiek, Genossen, der ist noch immer ganz in seiner Rolle drin, ein leibhaftiger Ahriman, der hinkende Teufel !´
Und wie ihn alle anblicken, dann in sein Lachen beflissen einstimmen und mich bitten, näher zu treten und Platz zu nehmen. Und das nur, um mir in gequälten Formulierungen und hohlen Phrasen möglichst schonend beizubringen, dass ich ausgezeichnet gefallen hätte, jedoch leider im Moment keine Vakanz bestehe, man mich aber benachrichtigen würde, sowie eine solche einträte...
Ich erinnere mich genau, wie sie betreten schwiegen, einander nicht anzublicken wagten, bis sich endlich aller Augen wieder auf den Parteigenossen richteten, der keinen weiteren Versuch unternahm, sich herauszureden, sondern kühl sagte, dass es ihm unendlich leid täte, aber die Umstände ihm keine andere Wahl ließen et cetera pp. Jedes Mal befällt mich heute noch Ekel, wenn ich an diese verlogenen Beteuerungen denke. So geriet ich, ohne den Mut zu finden, mich noch an weiteren Berliner Bühnen zu bewerben, zu der Filmemachertruppe des Herrn Dünnleder. Landete wie ein havariertes Schiff in einem Hafen, den ich – abermals – nicht mehr verlassen konnte. Doch hier traf ich auf eine Schar engagierter Darsteller, die Freude am Spiel hatten, naive, ehrliche Menschen, die zusammenhielten und mich freudig aufnahmen, auch wenn ich noch in anderem Denken befangen war als diese autonomen Filmschaffenden. Trotzdem fühlte ich mich nach kurzer Zeit schon, als ich den Absturz in diese vermeintlich primitiven Verhältnisse überwunden hatte, wie zu Hause.“
Was Erdmann Jansen nicht notiert hatte, sei kurz noch wiedergegeben: Das Mädchen Richlind hatte ihm vom ersten Tag an gefallen; doch war er ängstlich bemüht, seine Gefühle zu verbergen, aus Furcht, auch als Mann eine Niederlage erleiden zu müssen, die dann vielleicht seine künstlerische Schaffenskraft endgültig zum Erliegen bringen würde. Welches Mädchen würde sich denn schon mit einem Krüppel abgeben, hatte er sich gefragt. Da alle in freundschaftlicher Kameradschaft miteinander verkehrten, hatte er Richlinds Herzlichkeit stets nur als Zeichen der hier herrschenden familiären Zusammengehörigkeit genommen und nie ihre vorbehaltlose Zuneigung verspürt. Und als sie dann, um ihn herauszufordern, mit ihrem Partner Gunter Xander zu flirten begonnen hatte, war von ihr das genaue Gegenteil erreicht worden, denn fortan hatte er sich noch dichter verschlossen, war kühler und zurückhaltender denn je gegen sie, was sie zu dem Unsinnigsten veranlasst hatte, was sie nur tun konnte: zur Verlobung mit einem Jungen, für den sie nichts empfand, und das lediglich aus dem Trotz heraus, weil sie ihre große Liebe nicht erwidert glaubte.
In dem Augenblick aber, als sie ihn dann so leidenschaftlich küsste, war ihm bewusst geworden, dass seine Gefühle für sie keineswegs erloschen waren. Und er befand sich in einem Erregungszustand, dass er sie – wären sie allein gewesen – unweigerlich in seine Arme gerissen hätte. Obwohl eine innere Stimme ihn warnte, den Hahnrei zu spielen, der sich die Wertschätzung und die Treue seiner jungen Geliebten durch teure Geschenke erkaufte, bis er selbst kein Dach mehr über den Kopf hatte.
Doch kein Mensch sollte ihm ansehen, was in ihm vorging; so war es ihm auch schnell gelungen, sich wieder in die Gewalt zu bekommen, für solange wenigstens, bis er sich mit seinem Regiebuch zurückgezogen hatte. Niemand aus dem Kollegenkreis – am allerwenigsten Richlind, die es betraf – ahnte, wie es um ihn bestellt war und dass es sich um einen Fluchtversuch handelte vor ihr, aber mehr noch vor sich selbst.
„Gustav, ich glaube, du müsstest doch einmal beim Onkel Heinrich im Atelier vorbeischauen, nachher ist er beleidigt, wenn wir so gar nichts von uns hören lassen“, sagte morgens beim Frühstück Mutter Patzke. „Und bei der Gelegenheit könntest du dich als hervorragender Kundschafter nach Kürze beweisen, vielleicht, dass es irgendwas zu kaufen gibt...“
Gustav nickte ab, da er sich nicht mal ungern auf den Weg nach Berlin Mitte machte, wo Unter den
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