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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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doch... Täve! Hab´ dich gar nicht entdeckt. Pardon, die Damen.“ Damit tritt er näher, um dem Jungen die Hand zu schütteln, legt ihm den Arm um die Schultern und schiebt den Errötenden vor die beiden Frauen: „Ich darf bekannt machen: Das ist Gustav Patzke, mein Neffe, genauer: ein Großneffe eigentlich. Und hier, lieber Täve, haben wir die verdiente Genossin Wagner-Gewecke...“ – Gustav verbeugt sich tief und bringt es sogar fertig, einen Handkuss auf die behandschuhte Rechte anzudeuten – „...sowie hier das entzückende Original des Fotos, das du bestimmt schon ausgiebig betrachtet hast: Fräulein La Bruyère.“
    Geneviève lässt das „Fräulein“ widerspruchslos geschmeichelt über sich ergehen, während Gustav eine vage Hoffnung durchzuckt: Dann ist sie ja auch eine Cousine vom Huschke, und ich kann sie sicher wiedersehen! Und er steht vor ihr, sie lächelt ihn an, er sieht in ihre blauen Augen mit den auffallend großen Pupillen, während sie die Huldigung in seinem Blick fühlt und entgegennimmt und ihm mit einem burschikosen „Hallo!“ ihre grazile Hand darbietet, die er ergreift und ebenfalls küssen will, was Geneviève jedoch geschickt zu verhindern weiß.
    „Du hast doch bestimmt ein wenig Zeit mitgebracht, Täve? Ich muss nur den Damen noch ein paar Aufnahmen zeigen; nachher plaudern wir in Ruhe mitsammen, nicht wahr?“ Damit bittet der Onkel das Damenpaar in sein Atelier. Ein knappes Kopfneigen der Genossin deutet Verabschiedung an, während Geneviève sich noch einmal zu dem Jungen umwendet und freundlich nickt, bevor der dunkle Vorhang hinter ihr zusammenfällt und Gustav wieder allein ist mit ihrem Abbild.
     
    Nicht immer zeigte sich Geneviève so heiter und unbeschwert, wie an diesem Vormittag im Atelier von Herrn Collisy. Die Droge, die man ihr seit Tagen in erprobter Dosierung heimlich unter ihr Essen mischte – was die Haushälterin mit luziferischem Vergnügen besorgte –‚ versetzte sie in nie gekannte, jäh wechselnde Stimmungen.
    So gab es Stunden, in denen sie von einem unwiderstehlichen Verlangen nach Alleinsein ergriffen wurde, so dass sie anordnete, sie nicht zu stören, um sich einzuschließen und endlose Minuten unbeweglich am offenen Fenster zu verbringen, wobei ihr jegliches Zeitgefühl abhanden kam; mit verschleiertem Blick starrte sie vor sich hin, im Innersten erfüllt von einer fremden friedvollen und seligen Entrücktheit.
    Doch nach den Mahlzeiten lebte sie sichtlich auf, spürte das Blut in den Adern schneller den Körper durchkreisen, während ihre Gedanken eine überwache, metaphysische Klarheit erreichten. Ein nicht zu unterdrückender Drang überkam sie, sich unter Menschen zu begeben, etwas zu unternehmen und zu erleben und loszumachen. Meistens rief just zur selben Zeit wie durch Gedankenübertragung die Tante an, um sie zu einer Spazierfahrt oder einer anderen Zerstreuung einzuladen. Tagsüber fuhren sie in eine Moccabar, gaben auch mal der Vernissage eines autonomen Avantgardisten im Operncafé die Ehre und unternahmen abends Theater-, Revue- oder Lichtspielbesuche, nachdem die Genossin eine sorgfältige Auswahl unter den wenig üppigen kulturellen Unterhaltungsangeboten der Hauptstadt getroffen hatte, wobei es trotzdem wie von ungefähr immer erotische Vorstellungen waren, die Geneviève zu sehen bekam; zweimal die Woche kultivierte man den frivolen Kunstgenuss vor dem heimischen Pantoffelkino, das via Antenne vom Klassenfeind gespeist wurde.
    Mitte Oktober rückte näher, als Boleslaw Poniatowski, der Geneviève seit seinem plumpen Überrumpelungsversuch nicht mehr unter die Augen gekommen war, „rein zufällig“ – also wie mit Friederike abgesprochen – in der Berliner Wohnung der Genossin erschien, während die Damen beim Kaffee saßen. Es war wieder sehr warm an diesem Herbstnachmittag, und die Genossin legte sich neben Geneviève in den Schatten auf dem Balkon, der nach dem Garten zu die Aussicht auf einen riesigen Ginko Biloba bot, den schon weiland Goethe wegen seiner zwillingshaften Blätter den „Mirakulösen“ nannte. Stille herrschte hier auf der der Straße abgewandten Seite, zu der die Verkehrsgeräusche kaum herüberdrangen.
    Beide Frauen blätterten in freizügigen westdeutschen Frauenjournalen, die der Rechtsanwalt der Genossin, Justitiar Dr. Romboy, ihr tags zuvor von einer Verhandlungsreise nach Westdeutschland mitgebracht hatte. Doch Geneviève ertappte sich bei dem Versuch, Text oder Bildunterschriften zu lesen, immer

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