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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Richlinds: Er konnte sich an ihr nicht sattsehen; wie sie, die Beine übereinandergeschlagen, weit zurückgelehnt dasaß, die Hände im Nacken, hingerissen von jedem Wort, jeder Geste des meisterlichen Spielleiters. Auch während des Spiels irrte sein Blick immer wieder unwillkürlich zu ihr hin, Gefahr laufend, sich an ihrem kräftigen, biegsamen Körper festzusaugen, dem sonnengebräunten Gesicht mit den strahlenden Augen und den vollen Wangen, die von der Röte der Verzückung brannten. Wie er ihren Mund ein ganz klein wenig töricht, aber sehr hübsch halb offenstehend sah, fand er sie gleichwohl wunderschön, ja anbetungswürdig, und begann unwillkürlich davon zu träumen, diese vollen Lippen zu küssen und ein unerklärliches Schwindelgefühl erfasste ihn.
    Denn seine Empfindungen waren noch ganz frei von jeder anderen körperlichen Begehrlichkeit, da sie von Anfang an etwas Höheres für ihn bedeutete, dem Alltag Entrücktes, dem nur sein verehrendes Herz zugetan war.
    Als das zweite Bild, Schenke an den Grenzen von Sachsen , gestellt wurde, lernte Gustav, was Lichtstimmung und Arrangierprobe bedeutete. Buch und Bleistift in der Hand, biss er sich auf die Lippen, um alle Anweisungen des Regisseurs, alle Gänge und Stellungen, die entsprechenden Kreidemarkierungen, Reaktionen und Pausen peinlichst genau notieren zu können. Denn schon für den nächsten Morgen war bereits die Stückprobe angesetzt, die Probe also mit dem vollen gelernten Text im Kopf und ohne die Krücken des Textbuches. Begierig prägte sich Gustav jede dieser Bezeichnungen ein; der Bühnenjargon erfüllte ihn mit dem prickelnden Gefühl, weihevoll aufgenommen zu sein in die Gemeinschaft der Leute vom Fach – immerhin solange die Räuber geprobt und aufgeführt wurden.  
    So hockte er also anderen vormittags zum ersten Mal hinter der Bühne und erwartete in fieberhafter Ungeduld seinen ersten Auftritt, immer wieder seinen Text memorierend. Zwischendurch sprang er gelegentlich auf, um gestikulierend den schmalen Korridor mit den Kleiderständern voller Kostüme zu durchmessen, wohin er sich zurückgezogen hatte, um allein und ungestört zu sein. Denn er musste etwas hermachen, eine gute Figur, gleich von Anfang an groß herauskommen, das hatte er sich geschworen! Für sich selbst, sein Talent sich zu beweisen, für Erdmann Jansen, vor dem er bestehen musste, aber vor allem für Richlind, die neben dem Vorhang saß und zuschaute, um ihr zu gefallen und damit sie auch einmal ihren Blick von ihrem Spielleiter löste und auf ihn richtete!
    Als Quälerei empfand er, dass so lange dauerte, was im Buch doch nur wenige Seiten ausmachte: die Dialogszene zwischen Karl Moor und dem Spiegelberg ; sie wollte und wollte kein Ende nehmen! Zu gern hätte er zugeschaut, wie Erdmann Jansen mit seinen beiden Freunden probierte, wenn er sich nicht selbst eingestanden hätte, dafür viel zu aufgeregt zu sein; auch hätte es ihn in seiner Rolle als Roller zu sehr abgelenkt.
    Als er dann nun endlich, endlich auftreten durfte – hinter ihm der Schweizer , der Grimm , der Schufterle und der Razmann –‚ riss Gustav die Türe auf, dass die Kulissen nur so wackelten, und brüllte los: „Wisst ihr denn auch, dass man uns auskundschaftet?“ und rannte stürmisch bis zur Rampe vor.
    Alle prusteten los vor Lachen; Erdmann Jansen aber hob sogleich ungerührt beide Hände. „Gustav, wenn du auftrittst, lass die Dekoration möglichst stehn“, unterbrach er, „und eine Frage: Willst du dich auf das Auditorium stürzen oder nach Memfis in die Normannenstraße durchstarten?“
    Gustavs Kopf lief rot an. Das Gelächter der anderen war in Kichern übergegangen, der Spielleiter unterband es ebenfalls sofort. „Übermut kommt vor dem Fall!“ verwies er die Lacher. „Wer weiß, was euch alles einfällt, wenn ihr drankommt. Merkt euch aber alle: Wenn man einen Raum betritt, dann saust man nicht blindlings bis zum vorderen Bühnenrand vor, sondern bleibt gelassen einen Moment bei der Tür stehen, schaut sich – den Raum überblickend – um und informiert sich zunächst, was da drin vorgeht, verstanden?“
    Ziemlich kleinlaut jetzt nickten alle rührig Zustimmung.
Erdmann Jansen spielte ihnen die Einzelheiten ihrer Rolle vor, ließ sie es selbst darstellen, immer wieder korrigierend, hieß sie, kleine Szenenabschnitte zusammenhängend zu durchlaufen, so dass die Zeit bis zur Mittagspause wie im Fluge verstrich.
    Die Köpfe schwirrten ihnen von all den Dingen, die beachtet

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