Letzter Gruss - Thriller
Auto an ihnen vorbei zur Grenzstation fuhr: zwei Paare um die fünfzig, die Männer vorn und die Frauen auf der Rückbank.
Dessie wandte sich zu ihm um, zögerte einen Moment, fragte dann aber doch:
»Und Kimmys Mutter? Erzähl mir von ihr.«
Jetzt war er es, der sein belegtes Brot auf den Schoß sinken ließ.
»Sie heißt Lucy«, sagte er. »Wir sind in Brooklyn zusammen aufgewachsen. Sie war damals Sängerin, Blues und Jazz, wahnsinnig begabt. Wir waren beide achtzehn, als sie schwanger wurde. Kimmy war gerade drei Monate alt, da hat sie uns verlassen.«
»Verlassen? Für was?«
Jacob zuckte die Schultern.
»Für ein anderes Leben. Drogen, Geld, Musik … In den ersten Jahren hat sie Kimmy ein paarmal besucht, aber das ist dann im Sande verlaufen. Mittlerweile ist es fast fünfzehn Jahre her, seit ich sie zuletzt gesehen habe.«
»Weiß sie, dass Kimmy …?«
Jacob schüttelte den Kopf.
»Nein. Jedenfalls nicht von mir. Ich weiß ja nicht mal, wo sie steckt. Keine Ahnung, ob sie überhaupt noch lebt.«
Es wurde still im Wagen.
Ein grüner VW Passat fuhr an ihnen vorbei.
Jacob sah auf die Uhr. 08.54.
Ein blauer Saab folgte wenig später. Die Discomusik aus den offenen Fenstern wummerte bis zu ihnen ins Wageninnere.
Jacob sah auf die Uhr. 08.55.
Dessies Telefon klingelte. Sie hörte stumm zu und beendete dann das Gespräch.
»Sie sind durch Salmis und Vuono gekommen«, sagte sie. »Das sind zwei Dörfer außerhalb von Haparanda.«
»Roberts Männer sind sich da ganz sicher?«
Dessie nickte.
»Sie zögern«, sagte Jacob. »Sie wissen nicht, was sie an der Grenze erwartet.«
»Sie halten Ausschau nach einem anderen Auto, das sie stehlen können«, erwiderte Dessie.
109
Neun Uhr.
Die Straße hinter dem großen Kreisverkehr füllte sich mit Pkws, Wohnmobilen und Holzlastern. Für die Jagd nach den Postkarten-Killern war das Personal am Grenzübergang verstärkt worden, und ausnahmslos alle Fahrzeuge mussten die Zollstation passieren, ein kleineres Gebäude vorn links.
Jacob sah auf seine Armbanduhr.
Halb zehn.
Große Reisebusse trafen nach und nach auf dem Parkplatz vor Ikea ein. Anscheinend kamen sie aus der gesamten Nordkalotte, Jacob sah norwegische, finnische und russische Nummernschilder.
Wenig später fuhren Pkws aneinandergereiht wie Perlen auf einer Schnur auf den Parkplatz des Möbelhauses.
»Heute ist Donnerstag vor Mittsommer«, sagte Dessie. »Das ist immer der Höhepunkt der turbulentesten schwedischen Shoppingwoche. Die übertrumpft sogar das Weihnachtsgeschäft.«
Jacob antwortete nicht.
Er spürte, wie seine Wangenmuskeln arbeiteten.
Vor dem Eingang des Möbelhauses bildete sich eine Schlange.
Jacob sah auf die Uhr.
Drei Minuten vor zehn.
Er blickte in den Rückspiegel.
Eine Autoschlange: blaue, rote, weiße, schwarze Wagen, vollbesetzt mit einkaufslustigen Nordeuropäern.
Er presste die Handflächen gegen die Stirn.
Die Türen wurden geöffnet.
Menschen quollen in das lagerhallenartige Gebäude hinein.
Jacob wäre am liebsten aus der Haut gefahren.
»Was zur Hölle ist das hier?«, brüllte er. »Wo bleiben die denn, verdammt nochmal!«
Dessie blieb stumm.
»Sie haben bestimmt eine andere Straße genommen«, sagte Jacob. »Die fahren gar nicht über Haparanda. Dein kriminelles Schlitzohr von Cousin hat sich geirrt. Vielleicht steckt er mit ihnen unter einer Decke, vielleicht hat er uns extra hier festgehalten, damit sie entkommen können …«
»Hör auf«, sagte Dessie leise.
Er zeigte anklagend mit dem Finger auf sie.
»Hast du etwas mit der Sache zu tun? Sei ehrlich! «
»Jacob, jetzt komm wieder runter, du weißt ja nicht, was du sagst …«
Jacob drehte den Zündschlüssel um, und der Motor hustete auf.
»Was machst du?«, fragte Dessie. »Wo willst du hin?«
»Ich kann hier nicht länger herumstehen«, erwiderte Jacob. »Ich dreh sonst noch durch …«
»Warte«, sagte Dessie, »warte, da, ein rotes Auto, da kommt ein rotes Auto, ich glaube, das ist ein Volvo …«
Jacob sah in den Rückspiegel.
Es war ein Volvo Kombi, ein älteres Modell.
Zwei Leute saßen darin.
Ein blonder junger Mann und eine dunkelhaarige Frau.
110
Der Volvo rollte langsam auf den großen Kreisverkehr mit den Bäumen in der Mitte zu.
Jacob scherte auf die Fahrbahn aus und hängte sich direkt hinter sie.
Sein Puls dröhnte ihm in den Ohren, dass er Mühe hatte, die Geräusche der Umwelt um sich herum wahrzunehmen.
Das Paar im Volvo hielt mitten im Kreisverkehr an und
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