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Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Titel: Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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heimgesucht werden würde, allein schon, um sich den Besuch der Frau Schwarz bei ihm zu Hause zu ersparen.
    Die Frau Schwarz führte sie ins Wohnzimmer, wo die Judith auf einem Ledersofa lag, den ganzen Körper, obwohl es warm im Raum war, in eine Decke gewickelt. Lediglich Kopf, Schultern und Arme ragten daraus hervor. In der rechten Hand hielt sie eine Fernbedienung, und sie war gerade dabei, sich durch die Kanäle zu zappen, wie Gasperlmaier mit einem raschen Blick auf den Fernseher feststellte, ließ sich dabei von den Eintretenden aber in keiner Weise stören. Sie machte einen geistesabwesenden Eindruck und sah verheult aus, fand Gasperlmaier. Der Fernseher, das war ihm sofort aufgefallen, war ein wahres Prachtstück. Ein so riesiger Bildschirm hätte in Gasperlmaiers Stube zu Hause gar nicht Platz gehabt, ganz abgesehen davon, dass man sich gar nicht weit genug entfernt hätte hinsetzen können, um mit einem Blick den gesamten Bildschirm zu erfassen.
    „Guten Abend“, eröffnete die Frau Doktor das Gespräch. Niemand machte Anstalten, ihnen einen Platz anzubieten, worauf die Frau Doktor sich einfach auf das zweite Sofa setzte und Gasperlmaier und dem Friedrich bedeutete, es ihr gleichzutun. Die Frau Schwarz setzte sich auf einen Designerstuhl neben dem Sofa, der, wie Gasperlmaier bei sich dachte, unglaublich hässlich war und ebenso ungemütlich sein musste. Ein wenig sah er aus wie ein Pokal, nur dass der obere Teil eher flach und halbkugelig ausgefallen war und eine weiße Polsterung besaß. Probleme mit dem Rücken konnte die Frau Schwarz nicht haben, wenn sie mit diesem Sitzmöbel zurechtkam. Die Judith Naglreiter kümmerte sich nicht im mindesten um den Besuch, sondern widmete ihre Aufmerksamkeit nunmehr einer amerikanischen Krankenhausserie, die Gasperlmaier nur deswegen wiedererkannte, weil er sich zu Hause schon oft darüber hatte ärgern müssen, dass seine Kinder mit diesem Schwachsinn den Fernseher im Wohnzimmer blockierten, wenn er gerade Lust darauf hatte, die Füße nach der Arbeit ein bisschen hochzulagern.
    Mit einer Sanftheit in der Stimme, die Gasperlmaier der Kettenraucherin niemals zugetraut hätte, sprach Frau Schwarz die Judith an. „Judith“, wisperte sie, und als keine Reaktion erfolgte, nochmals: „Judith!“ Ein kurzes Aufflackern der Augen der Angesprochenen zeigte, dass sie hörte, dass man mit ihr sprach, dennoch warf die Frau Schwarz der Frau Doktor einen vielsagenden Blick zu. Das konnte ja heiter werden, dachte Gasperlmaier, dessen Magen sich nun bereits für alle hörbar zu Wort gemeldet hatte, zumindest mutmaßte Gasperlmaier das aufgrund der Heftigkeit des Grollens.
    „Frau Naglreiter, ich muss mit Ihnen sprechen. Würden Sie bitte den Fernseher abschalten?“ Gasperlmaier merkte, dass die Judith trotz ihrer scheinbaren Geistesabwesenheit auf die Aufforderung der Frau Doktor reagierte: Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich von Teilnahmslosigkeit zu Trotz. Für Gasperlmaier völlig überraschend ergriff die Frau Doktor nun die Initiative, beugte sich über die Judith, die gar nicht schnell genug reagieren konnte, nahm ihr die Fernbedienung aus der Hand und ließ den Riesenbildschirm erlöschen. In der eintretenden Stille war nur mehr das zornige Schnauben der Judith Naglreiter zu hören.
    „Frau Naglreiter, ich bedauere zutiefst, was Ihnen wiederfahren ist, und, glauben Sie mir, ich kann mir denken, wie Sie sich jetzt fühlen, wo Ihre ganze Welt in Trümmern liegt, wo Sie ihre ganze Familie verloren haben, innerhalb weniger Tage. Aber um all das aufklären zu können, um auch Ihnen darüber Klarheit zu verschaffen, was da passiert ist und wer die Verantwortung trägt, dazu müssen Sie jetzt mit mir reden!“
    Die Judith hatte die Frau Doktor zunächst nur entsetzt angestarrt, war aber dann wieder auf ihr Sofa zurückgesunken und in die bereits bekannte Teilnahmslosigkeit verfallen.
    „Fragen Sie halt!“, sagte sie plötzlich, mehr zum Fernseher hin als zur Frau Doktor.
    „Frau Naglreiter, wir sind leider ziemlich sicher, dass Ihr Vater für den Tod Ihrer Mutter die Verantwortung trägt.“ So neutral, ohne dass irgendein hartes, verschreckendes Wort fiel, dachte Gasperlmaier bei sich, hätte ich ihr niemals beibringen können, dass der Papa die Mama erschlagen hat. Gespannt beobachtete Gasperlmaier die Reaktion der Judith, die jedoch nach wie vor ausdruckslos auf den schwarzen Bildschirm starrte, als verlange das, was darauf zu sehen war, ihre ganze Aufmerksamkeit.

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