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Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Titel: Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, fragte die Frau Doktor: „Frau Naglreiter, können Sie sich vorstellen, dass Ihr Vater in Stresssituationen Gewalt angewendet hat? Haben Sie jemals beobachtet, dass er gewalttätig geworden ist?“ Die Judith kicherte hysterisch, ohne dass sie den Blick vom Bildschirm abwandte. „Gewalttätig?“, brachte sie zwischen ihren krampfartigen Lachanfällen hervor, „gewalttätig?“ Gasperlmaier begann um die seelische Gesundheit der Judith zu bangen. War das Mädchen am Ende knapp davor durchzudrehen? Ein Wunder wäre es nicht, dachte Gasperlmaier. Einen Moment lang versuchte er sich vorzustellen, wie er sich fühlen würde, wenn innerhalb weniger Tage seine gesamte Familie ausgerottet würde. Schnell schob er den undenkbaren Gedanken wieder zur Seite.
    Der Frau Schwarz waren, soweit das überhaupt möglich war, noch tiefere Furchen ins Gesicht gewachsen als vorher. Zu Gasperlmaiers Überraschung griff sie jedoch nicht ein, zog eine Zigarettenschachtel und ein Feuerzeug hervor, stand auf und ging auf den Balkon. Offenbar, dachte Gasperlmaier, musste sie jetzt in einer ganz persönlichen Krise mittels Nikotin intervenieren. Inzwischen hatte sich die Judith einigermaßen beruhigt und fing mit dem Fernseher zu reden an. „Mein Vater war das größte Arschloch, dem ich in meinem Leben begegnet bin. Und ich bin froh, dass er tot ist. Das Einzige, was ich bedauere, ist, dass ich ihn nicht eigenhändig erwürgt habe.“ Judiths Kopf zuckte während des Redens hektisch in alle Richtungen, sodass Gasperlmaier den Eindruck gewann, dass ihre Worte nur mühsam und unter großen Widerständen den Weg aus ihrem Inneren zu Stimmbändern, Rachen und Lippen fanden. Ein wenig seltsam kam ihm das schon vor, denn er erinnerte sich noch gut daran, was die Judith für ein Theater gemacht hatte, als sie gestern früh mit der ersten Todesnachricht zu ihr und Stefan ins Haus gekommen waren.
    „Frau Naglreiter“, hob die Frau Doktor jetzt noch einmal behutsam an, „gab es konkrete Vorfälle? In letzter Zeit? Haben Sie einmal mitbekommen, dass Ihr Vater gegen Ihre Mutter gewalttätig geworden ist?“ Die Judith begann zu schluchzen. „Ja, was glauben Sie denn?“ Endlich sah sie der Frau Doktor einmal direkt ins Gesicht. „Wenn die gestritten haben, da sind die Fetzen geflogen! Ohrfeigen waren da das Mindeste! Der feine Herr Anwalt, der ist sofort ausgerastet, wenn das Geringste gegen seinen Willen gegangen ist! Glauben Sie, der hat mich und den Stefan verschont? Das ist nicht so, dass nur die arbeitslosen Unterschichtler ihre Kinder verprügeln! Da brauchen Sie als Kind nur einmal auf das Designersofa kotzen, und schon fliegen die Fäuste! So einer war mein Vater!“ Judith stützte ihren Kopf in die Hände und begann hemmungslos zu schluchzen. Die Frau Doktor suchte den Blick Gasperlmaiers, der sich aber außerstande sah, mehr als ein Schulterzucken zur Problemlösung beizutragen. Gasperlmaiers Augen irrten ab und fingen die Frau Schwarz ein, die auf dem Balkon gerade einen Zigarettenstummel im Blumenkasten der Naglreiters ausdrückte, in dem die Blüten noch üppig wucherten, wie Gasperlmaier feststellte, während man an manchen Stellen bereits Anzeichen beginnender Trockenheit wahrnehmen konnte. Der Zigarettenstummel, dachte Gasperlmaier, würde auch nicht gerade zum Wohlbefinden der Blumen beitragen. Vielleicht, dachte er, wäre es auch angebracht, dass die Frau Schwarz hinsichtlich der Krise im Blumenkasten intervenieren würde. Um die Judith schien sie sich ja keine großen Sorgen zu machen.
    „Frau Naglreiter“, fuhr die Frau Doktor fort, „haben Sie vorgestern irgendetwas bemerkt, was Ihren Vater in Wut hätte bringen können, irgendeine Kleinigkeit, die einen so schweren Konflikt zwischen Ihren Eltern hätte auslösen können, dass Ihr Vater schließlich zu …“, die Frau Doktor stockte und suchte wiederum Gasperlmaiers Blick, „ … dass er zu heftigerer Gewalt als sonst üblich Zuflucht gesucht haben könnte?“ Gasperlmaier bewunderte die Formulierungskunst der Frau Doktor. Dass man zu Gewalt Zuflucht suchen konnte, war dem Gasperlmaier bisher nicht bewusst gewesen. Das klang ja gerade so, als sei der Herr Doktor Naglreiter von irgendwelchen Umständen so sehr in die Enge getrieben worden, dass ihm gar nichts anderes übriggeblieben war, als seiner Ehefrau das Ruder über den Schädel zu ziehen, als sie hilflos im Wasser des Altausseer Sees getrieben war.
    Das Schluchzen hatte

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