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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Speed-Tek-Internetcafé richtete sich eine weiße Katze auf und schlug mit der Pfote nach einem rotbraunen Schmetterling, der sich knapp außerhalb ihrer Reichweite befand.
    Im Café saß nur ein Kunde, zusammengekauert vor Bildschirm Nummer sechs, und kicherte vor sich hin. Ibrahim Kudwa saß mit Klein-Mariam am Tresen und fragte sich, ob es Zeit war, den Bildschirm dieses vor sich hin kichernden Kunden zu inspizieren.
    «Ibby. Pass auf.»
    Ajwani und Mrs Puri hatten einige Minuten zuvor das Internetcafé betreten.
    Mrs Puri legte die Unterarme auf den Tisch und schob ihm das Blatt Papier hinüber.
    «Alle anderen haben unterschrieben, nur du noch nicht.»
    Damit Ibrahim die Hände frei hatte, bot sie ihm an, Mariam zu nehmen, die ihr übliches gestreiftes grünes Nachthemd trug.
    «Meine Frau sagt, ich hätte mehr Nerven als Fleisch», sagte Kudwa und gab Mrs Puri Mariam. «Ich sollte nie etwas entscheiden müssen.»
    «Ist doch ganz einfach», sagte Ajwani. «In besonderen Fällen kann eine Wohnungsgenossenschaft ein Mitglied ausschließen und seine Mitgliedsurkunde erwerben. Ist völlig legal.»
    Ibrahim Kudwa hatte die Hände frei, dennoch wollte er das Blatt Papier vor ihm nicht anfassen.
    «Woher weißt du das? Bist du Rechtsanwalt?»
    Ajwani neigte den Kopf von einer Seite zur anderen und sagte dann: «Shanmugham hat mir das erzählt.»
    Mrs Puri, die Mariam auf dem Arm trug, funkelte Ajwani an. Aber es war zu spät.
    «Ach, und
der
ist also Experte?» Kudwas Oberlippe zuckte. «Ich mag diesen Mann nicht, ich mag sein Gesicht nicht. Ich wünschte, dieser Bauherr wäre nicht auf uns gekommen. Wir sind nicht so gut, um ‹Nein› zu seinem Geld zu sagen, und nicht so schlecht, um ‹Ja› zu dem zu sagen, was er dafür von uns will.»
    «Hier geht es nicht ums Geld, Ibby. Es geht ums
Prinzip.
Wir können doch nicht zulassen, dass ein Einzelner die ganze Wohnungsgenossenschaft schikaniert.»
    «Stimmt, Sangeeta-ji, stimmt», sagte Mr Kudwa und sah zum Ventilator hoch. «Das bringe ich auch meinen beiden Söhnen bei. Bleib deinen Prinzipien treu.»
    Er legte einen Finger an die Lippen, stand auf und ging auf Zehenspitzen zu dem Kunden am Bildschirm Nummer sechs.
    Kudwa zerrte den Kunden vom Stuhl, zog ihn zur Tür des Cafés und schubste ihn hinaus; die weiße Katze miaute.
    «Ich will dein Geld nicht. Raus mit dir!», brüllte Kudwa. «Dies ist ein anständiger Laden.»
    «Typisch.» Er wischte sich über die Stirn und setzte sich. «Man muss sie bloß fünf Minuten allein lassen, und es ist nicht zu fassen,
was
sie dann runterladen. Und wenn die Polizei kommt, wen verhaften sie dann wegen Pornografie?
Ihn
nicht.»
    «Hör mal, Ibrahim», sagte der Makler. «Ich habe immer gegen Unterdrückung gekämpft. 1965, als Premierminister Shastri uns bat, auf eine Mahlzeit am Tag zu verzichten, damit wir die Pakistaner besiegen, habe ich auf eine Mahlzeit verzichtet. Ich war acht Jahre alt und habe meinem Land mein Essen geopfert.»
    «Ich war erst
sieben
Jahre alt», sagte Kudwa. «Ich habe auf mein Abendessen verzichtet, als mein Vater darum bat. Wir alle haben 1965 eine Mahlzeit geopfert, Ajwani, nicht bloß du.»
    Ajwani nahm Mrs Puri Mariam aus den Händen und schüttelte das Mädchen kräftig.
    «Ibrahim.»
    «Ja?», fragte Kudwa.
    «Hast du mal gesehen, wie eine Kuh beim Kacken wegguckt und so tut, als wüsste sie nicht, was sie da macht? Dieser Mann weiß genau, was er tut,
und es macht ihm Spaß.
Kurz und gut, dein geliebter Masterji ist verklemmt, verrückt und gefährlich.»
    Mrs Puri schob das Blatt näher zu Kudwa hinüber.
    «Ibby. Jetzt hör mir mal bitte zu. Masterji weiß, dass der Bauherr ihm jetzt nichts anhaben kann. Die Polizei überwacht Vishram. Dies ist der einzige Ausweg.»
    Kudwa setzte seine Lesebrille auf. Er nahm das Blatt in die Hand und las.
    «… laut Maharashtra Co-operative Societies Act 1960, Abschnitt 35, Ausschluss von Mitgliedern, und ebenso laut Punkt 51 bis 56 der Mustersatzung kann ein Mitglied aus seiner Genossenschaft ausgeschlossen werden, wenn er
    1. wiederholt seinen Pflichten gegenüber der Genossenschaft nicht nachgekommen ist,
    2. seine Genossenschaft wissentlich durch falsche Angaben hintergangen hat,
    3. seine Wohnung gewohnheitsmäßig für unmoralische oder illegale Zwecke nutzt,
    4. gewohnheitsmäßig Verstöße gegen die Bestimmungen der Satzung seiner Genossenschaft begeht, bei denen es sich nach Ansicht der anderen Mitglieder um ernsthafte Verstöße

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