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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Viertel ein Nachtfalter verletzt wird», sagte er und reichte dem Verwalter die abgetrennten Flügel. «Dann stellen Sie sich mal vor, wie ich mich erst fühle, wenn ein alter Mann bedroht wird.»
    Dem Verwalter glitten die Flügel zwischen den Fingern hindurch.
    Eine Stunde später kam der Polizist erneut in der Genossenschaft vorbei. Er zündete sich beim Tor eine Zigarette an und plauderte mit Ram Khare. Der Verwalter sah, wie er in die Knie ging und die Marmortafel mit der Widmung in Augenschein nahm, als studierte er ein 48 Jahre altes Gutachten, das dem Gebäude einen guten Charakter attestierte.
    «Bald wird ganz Vakola darüber reden. Ein Polizist hat der Vishram Society einen Besuch abgestattet? Der berühmten, anständigen, ehrenwerten Vishram Society?»
    «Sei still, Shelley.»
    Mr Pinto stand am Fenster. Ein birmesischer Mahagonispazierstock, ein Erbstück, lehnte neben ihm an der Wand.
    Seine Frau und er standen in einer neuen Beziehung zu ihrer Genossenschaft. Gehörten weder zum einen noch zum anderen Lager. Masterji kam nicht mehr zum Essen zu ihnen, auch gingen sie nicht mehr nach unten zum Parlament; dort gab es gewöhnlich nur ein Thema: den Charakter des Bewohners von 3 A.
    An diesem Abend hatten die Parlamentarier begonnen, über Masterji zu sprechen, und waren dann in Streit geraten.
    «Sie haben eine heimliche Abmachung. Ein kleines Extra.» – Mrs Puri zu Ajwani.
    «Sie sollten nicht über Dinge reden, von denen Sie keine Ahnung haben, Mrs Puri.»
    «A-ha!», schrie sie. «Sie geben es also zu. Sie haben eins bekommen.»
    «Natürlich nicht.»
    «Ich habe so einiges mitgekriegt», sagte Mrs Puri. «Und eins sage ich Ihnen allen hier – sogar Ihnen, Mrs Saldanha, selbst Sie da in Ihrer Küche hören mir jetzt mal zu. Keiner bekommt ein Extra, ehe nicht mein Ramu und ich auch eins bekommen haben.»
    «Niemand hat eine heimliche Abmachung», protestierte der Verwalter.
    «Ihnen muss man das doch als Allererstem angeboten haben, Kothari.»
    «Was ist denn das für eine Unterstellung? Haben Sie etwa nicht bei der Jahreshauptversammlung für mich gestimmt? Ich habe die Wartungskosten konstant bei 16,68 Rupien pro Quadratmeter gehalten, zahlbar in zwei Raten. Beschuldigen Sie mich jetzt nicht der Unehrlichkeit.»
    «Warum wurde denn im Haus all die Jahre nichts repariert, Kothari? Halten Sie so die Kosten niedrig?»
    «Das habe ich mich auch schon oft gefragt.»
    «Sie sind kein bisschen besser als Masterji, Mrs Puri. Und Sie auch, Ajwani. Kein Wunder, dass Masterji so ein böser Mensch geworden ist, wenn er mit Menschen wie Ihnen zusammenleben muss.»
    Mithilfe des birmesischen Spazierstocks ging Mr Pinto ins Schlafzimmer und legte sich neben seine Frau.
    «Hat Masterji gefrühstückt, Mr Pinto? Er hat doch bestimmt Hunger.»
    «Ein Mann stirbt nicht, bloß weil er ein paar Tage lang etwas weniger isst, Shelley. Wenn er Hunger hat, wird er schon wieder kommen.»
    «Das glaube ich nicht. Er ist so ein stolzer Mensch.»
    «Ob
ich
ihn hier wieder reinlasse, ist ja noch eine Frage, Shelley. Erinnerst du dich nicht mehr daran, dass er mich Feigling genannt hat? Ich habe das ins Streitvermeidungsbuch eingetragen. Er muss sich entschuldigen und mir meine hundert Rupien wiedergeben, ehe ich ihn wieder an meinem Tisch essen lasse.»
    «Oh, Mr Pinto, wirklich … nicht auch noch du. Im Moment beschimpfen sie ihn im Parlament doch alle.»
    «Sei still, Shelley. Hör mal.» Mr Pinto flüsterte. «Jetzt geht er ans Fenster. Das macht er immer, wenn sie wieder überihn herziehen, Shelley. Hast du mal darüber nachgedacht, warum?»
    «Nein, und das will ich auch nicht.»
    «Er will es hören, wenn sie schlecht über ihn reden. Das ist die einzige Erklärung.»
    «Das kann doch nicht sein. Warum sollte denn jemand zuhören wollen, wenn solche Sachen über ihn gesagt werden? Neulich hat Sangeeta behauptet, er hätte Purnima geschlagen. Das ist einfach gelogen.»
    Mr Pinto begriff nicht, warum der Mann das tat, aber jedes Mal, wenn sich dort unten das Parlament versammelte, um über ihn zu klatschen, stand Masterji am Fenster und sandte Luftwurzeln nach unten, um Verleumdungen und Schmähungen aufzusaugen.
Das muss wohl seine neue Kost sein,
dache Mr Pinto.
Ihre Dornen sind sein Mittagessen und ihre Nägel sein Abendbrot. Spott sein Protein.
    Als er den Kronleuchter musterte, schien sich dieser in etwas Fremdes, Leuchtenderes zu verwandeln.

6. AUGUST
    Im wild wuchernden, regennassen Gras vor dem

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