Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
waren dazu übergegangen, ihm Brüste und Genitalien in den Sand über ihm zu malen, und hatten auf English FUK ME dazugeschrieben.
    «Ihr könntet es wenigstens richtig schreiben!» Mrs Rego versuchte so lange wie möglich streng dreinzublicken, ehe sie den anderen dabei half, den gefangenen Jungen zu befreien.
    Das Meer war ein sattes Violett; die Dämmerung leuchtete über Juhu.
    «Okay, Jungs, sammelt Schläger und Ball ein und kommt her», rief Mrs Rego. «Es ist Zeit für eine Rede.»
    «Rede? Warum muss es denn jedes Mal eine Rede geben, Mrs Rego?»
    «Wir müssen eine Rede auf Masterji halten. Glaubt ihr etwa, dass sein Sohn an ihn denkt? Das müssen wir übernehmen. Und
du,
Timothy, fängst damit an.»
    Die anderen Jungen versammelten sich im Halbkreis um Timothy. Ajwani setzte sich neben Mary.
    Timothy grinste. «Ich habe Masterji mal unter einem Baum am Tempel sitzen gesehen. Er hat die ganzen Früchte gegessen …»
    «Timothy!», sagte Mrs Rego.
    Die Jungen klatschten in die Hände und pfiffen. «Super Rede!»
    «Setz dich hin, Timothy.» Mrs Rego zeigte auf Ajwani.
    «Jetzt sprechen
Sie
weiter.»
    «Ich?» Der Makler wollte loslachen, aber dann begriff er, dass sie es ernst meinte. Jeder, der hier saß, vielmehr jeder hier am Strand, war irgendwie in diese Angelegenheit verwickelt. Sein Anteil war weitaus größer als der der meisten von ihnen.
    Er stand auf und wischte sich den Sand von der Hose. Er wandte sich den vier Jungen und zwei Frauen im Halbkreis zu.
    «Freunde, unser verstorbener Masterji –»
    «Der verstorbene Mr Yogesh Murthy», korrigierte Mrs Rego.
    «… der verstorbene Mr Yogesh Murthy war mein Nachbar, aber ich weiß nicht viel über sein Leben. Er ist, glaube ich, im Süden geboren und ist hierhergekommen, nachdem er geheiratet hatte, glaube ich, und ist ein typischer Bewohner dieser Stadt geworden. Was will ich damit sagen?» Ajwani blickte aufs Meer. «Ich will damit sagen, dass er ein neuer Mensch wurde. Ich denke jetzt mehr über ihn nach als zu der Zeit, als er mein Nachbar war.»
    Er hoffte, dass sie ihn verstehen würden.
    Mrs Rego stand auf, und alle wandten sich ihr zu.
    «Jungs, ich würde sagen ‹Hipp, hipp, hurra› für Mr Ajwani undseine schöne Rede. Ich möchte jetzt, dass ihr ihm alle Beifall klatscht. Wollt ihr das tun, Jungs?»
    «Hipp, hipp, hurra! Aj-waaa-ni!»
    «Jungs, ich bin noch nicht fertig.»
    «Das sind Sie doch nie!» Gelächter.
    Der Halbkreis sortierte sich so, dass nun Mrs Rego in seiner Mitte stand.
    «Jungs, wo Masterji geboren wurde, wo er studiert hat – das alles ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist Folgendes. Er hat das getan, von dem er glaubte, dass es das Richtige ist. Er hatte ein Gewissen. Egal, was die Leute zu ihm gesagt oder was sie ihm angetan haben, er hat seine Meinung nicht geändert und nie sein Gewissen verraten. Er war bis zum Schluss frei.»
    «Es reicht, Tante.»
    «Halt den Mund und nenn mich nicht Tante. Und jetzt seid alle mal still.»
    Und einige von ihnen waren auch still.
    «Jungs, vor einigen Jahren war ich in Delhi und habe einen Mann getroffen, der noch nie in seinem Leben das Meer gesehen hatte und deshalb überlegte, was so ein Leben schon wert sei. Wir dagegen werden immer das Meer haben, und deshalb leben wir in der wahren Hauptstadt dieses Landes. Alles, was wir brauchen, sind ein paar mehr anständige Männer wie Masterji, und dann wäre diese Insel, unser Mumbai, das Paradies auf Erden. Wie damals, als ich noch ein Mädchen war und in Bandra lebte. Wenn ich euch Jungen hier so vor mir sitzen sehe, weiß ich, dass unter euch auch ein zukünftiger Masterji ist und dass diese Stadt wieder das sein wird, was sie einst war: die großartigste der Welt. Und jetzt lasst uns, ihr Herren Kricketspieler, damit diese Rede nicht noch länger dauert, alle aufstehen, wir wollen uns an den Händen fassen und für unseren verstorbenen Masterji, dessen Gedenken wir zu ehren versprechen, ein kräftiges ‹Hipp, hipp, hurra› rufen.»
    «Hipp, hipp, hurra!», brüllten alle.
    Die Kricketspieler waren brav gewesen, und nun wollten sie ihre Belohnung. In der Nähe war ein Stand entdeckt worden, an dem Zuckerrohrsaft verkauft wurde.
    «Sie auch», sagte Mrs Rego. Ajwani nahm an. Die Gruppe ging gemeinsam zum Zuckerrohrsaftstand am Ende des Strandes. Mrs Rego, die den Protest des Maklers ignorierte, bezahlte für alle. Sie zählte ab, wie viele sie waren, um die richtige Zahl Gläser zu bestellen. Plötzlich stieß sie einen Schrei

Weitere Kostenlose Bücher