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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Jahren ist das erste Mal in Shanghai so wie die erste sexuelle Erfahrung für einen Teenager. Du kannst uns nicht ständig mit den Chinesen vergleichen, Dharmen.»
    Shah drehte sich um und blickte ihn an.
    «Wie wollen wir denn sonst vorankommen? Schau dir doch mal die Züge in dieser Stadt an. Schau dir die Straßen an. Die Gerichtsgebäude. Nichts funktioniert, nichts bewegt sich; es dauert zehn Jahre, um eine Brücke zu bauen. Wenn sich hier was tut, dann nur wegen einzelner Bürger. Menschen mit Willenskraft.»
    «Es reicht. Von meinen anderen Patienten höre ich den ganzen Tag genug über Shanghai. Frühstücke mit uns, Dharmen. Vishala möchte sich bei dir bedanken. Dafür, dass du dieses Geschäft für ihren Freund in Prabha Devi eingefädelt hast.» Nayak legte dem fetten Mann die Hand auf die Schulter. «Du wächst ihr allmählichans Herz. Bleib ein Weilchen. Ich sage auch noch einen vierten Termin für dich ab.»
    «Nicht heute. Ich komme zu spät zur Arbeit.»
    Die Falken tauchten wieder auf. Immer noch miteinander kämpfend, wurden sie von einer plötzlichen Bö gegen das Gebäude geweht, trieben direkt auf das Fenster zu und knallten dagegen, ehe sie ein weiterer Windstoß senkrecht nach oben trug, als befänden sie sich vor einer Felswand.
    «Verdammte Plage», sagte Doktor Nayak, «scheißen die Fensterbänke voll, kämpfen den ganzen Tag miteinander. Jemand sollte –», er zog einen imaginären Gewehrabzug, «sie abknallen. Einen nach dem anderen.»
    Shah tippte auf die Tastatur seines Handys und ging durch die Tiefgarage, als eine gespenstische Stimme unter der niedrigen Decke zu widerhallen begann.
    «Verehrter Verwalter, verehrte Mitglieder der Vishram Society …»
    Shah schob sein Handy in die Tasche und pirschte sich verstohlen heran.
    Ein großer dunkelhäutiger Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose stand in der offenen Aufzugtür. Dem Spiegel in der oberen Hälfte des Aufzugs zugewandt, hob er die linke Hand.
    «Verehrter Verwalter, verehrte Mitglieder der Türme A und B der Vishram Society, bald werden sich all Ihre Träume erfüllen.»
    Der Mann veränderte seine Kopfhaltung, im Spiegel war deutlich ein abgesplitterter Zahn zu sehen.
    «Verehrter Verwalter, verehrte Mitglieder …»
    Ein Junge in schmutzigen Kakihosen, ein Tablett mit Teegläsern in der Hand, stupfte den Mann von hinten an und bat, den Aufzug betreten zu dürfen.
    Mit erhobener Hand wirbelte der Mann herum. «Sisterfucker, fass mich nicht an.»
    Der Junge trat zurück und wechselte das Tablett mit den wackelnden Teegläsern in die linke Hand.
    Shah räusperte sich.
    «Shanmugham», sagte er, «lass den Jungen den Aufzug benutzen. Und übe deine Reden nicht in der Öffentlichkeit, du siehst lächerlich aus.»
    Mit einem «Ja, Sir» eilte der große Mann auf einen grauen Mercedes Benz zu und öffnete die Hintertür für seinen Arbeitgeber.
    Auf dem Marine Drive.
    Vom Meerwind gebeugte Kokospalmen und plötzlich auffliegende Tauben verstärkten das Gefühl der Geschwindigkeit bei der Fahrt den langen Boulevard entlang. Auf der Back Bay glänzte hell eine samtene Sonne.
    «Ist so weit fertig, bis auf den Stichtag», sagte Shanmugham und drehte sich vom Beifahrersitz des Mercedes Benz nach hinten, um seinem Chef ein Dokument zu zeigen. Der Fahrer schaltete herunter, als sie doch noch ein Rotlicht ereilte.
    «Ich bin es gestern Abend nochmals Wort für Wort durchgegangen, Sir. Habe mich versichert, dass jedes Komma stimmt.»
    Mr Shah ignorierte den Brief, öffnete eine kleine blaue Metalldose und kippte den Inhalt mithilfe eines kleinen Plastiklöffelchens in seinen leuchtend roten Mund. Seine kleinen schwarzen Zähne kauten die Betelnuss; ein paar Zähne fehlten ihm.
    «Mach dir um den Wortlaut keine Sorgen, Shanmugham. Erzähl mir von den Bewohnern.»
    «Sie haben sie selbst gesehen, Sir.»
    «Nur einmal.»
    «Solide Leute. Turm B ist modern. Wirtschaft, Hightech, Computer. Turm A ist altmodisch. Lehrer, Buchhalter, Makler. Beide solide.»
    «Lehrer?» Der fette Mann zuckte zusammen. «Was gibt es sonstnoch über diese Genossenschaft zu wissen? Ist dort je was Übles passiert?»
    «Ein Selbstmord, Sir. Vor vielen Jahren. Ein Junge ist vom Dach gesprungen. Das haben sie mir nicht erzählt, aber die Nachbarn.»
    «Nur
ein
Selbstmord?»
    «Ja, Sir.»
    «Das kriege ich hin.»
    An der Ampel vor Malabar Hill lag eine kopflose Katze auf der Straße, vom Hals aufwärts bestand sie nur noch aus rosafarbenem Brei, auf dem eine

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