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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Reifenspur einen Abdruck hinterlassen hatte, ein blutiges Ausrufezeichen. Dem Bauherrn ging die kleine Katze zu Herzen. In einer Welt voller Lastwagen und Staus hatte sie schlechte Karten gehabt. Und was ist mit dir, Dharmen?, fragte das zermatschte Tier, du bist der nächste, oder?
    Er kurbelte das Fenster herunter und spuckte auf den Kadaver.
    Er hatte seit Langem nichts mehr gegessen. Er träumte vom Frühstück. Acht Scheiben Toast, zu Dreiecken geschnitten, auf einer Porzellanplatte gestapelt, ein Glas Kissans Mehrfruchtmarmelade, ein Glas Kissans Orangenmarmelade, eine Flasche Heinz-Ketchup und in einer geriffelten Schüssel mit Wasser, damit er streichfähig blieb, ein Eisberg hausgemachter Butter.
    Der Mercedes fuhr Malabar Hill hoch, zu Shanmughams Linken glitzerte das Meer.
    Als der Fahrer herunterschaltete, soff der Motor vor einer alten zerfallenen Villa ab. Junge Baumschößlinge waren durch die exquisiten Steinblätter und -blumen des Kranzgesimses aus dem 19. Jahrhundert gebrochen, und auf einem an die Eingangsmauer genagelten Schild stand
    STADTVERWALTUNG MUMBAI
DIESES GEBÄUDE IST EINSTURZGEFÄHRDET UND DARF
NICHT BETRETEN WERDEN.
    Als das Auto wieder losfuhr, fiel ein Abglanz des vom Meer reflektierten Sonnenlichts durch die verfallene Villa.
    Shanmugham sah vier wuchtige Banyanbäume auf dem Areal eines vornehmen Gebäudes stehen, ihre Luftwurzeln krallten sich an die Grundstücksmauer, als wären sie dort festgeklebt wie die vier Schilde des House of Shah.
    Gemeinsam fuhren sie mit dem Aufzug in den achten Stock.
    «Gleich nach dem Frühstück gehen wir auf die Baustelle», teilte Shah seinem Assistenten auf dem Weg zu seiner Wohnung mit. «Der Bauunternehmer hat mich heute Morgen informiert, dass alles in Ordnung ist und es keinen Grund für mich gibt, rauszufahren. Du weißt, was
das
heißt.»
    Ein Medaillon mit einem goldenen Ganesh hing über dem Türsturz seiner Wohnung.
    Die Tür stand offen. Zwei schwarze Lederschuhe waren davor abgestellt worden.
    Im Wohnzimmer ein Bild wie aus einem Bühnenstück. Vor einem riesigen Bronze-Nataraja erblickte Shah seinen Hausdiener Giri neben zwei Männern in Kakiuniform, von denen einer an einem Glas kaltem Wasser nippte. Der andere Uniformierte hatte eine Hand auf Satish, seinen Sohn, gelegt und drohte dem Jungen mit dem Zeigefinger, als wollte er eine Pantomime für dessen Vater aufführen.
    In Shahs Brust röchelte der Schleim.
    «Boss.» Giri, der ein zerlumptes
banian
und einen blauen
lungi,
einen Wickelrock, trug, trat auf ihn zu. «Er hat’s schon wieder getan. Er hat vor der Schule Autos mit Graffiti besprüht; sie haben ihn geschnappt und hierhergebracht. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen warten, bis Sie …»
    Der Polizist, der eine Hand auf Satish gelegt hatte, schien der Höhergestellte von beiden zu sein. Er redete. Der andere trank weiter sein kaltes Wasser.
    «Zuerst sahen wir, wie er …»
    Der Polizist machte eine kreisrunde Bewegung, um das Sprayen anzudeuten. Shah hörte zu. Die Finger seiner linken Hand rieben über die dicken Goldringe an seiner rechten.
    «Dann machte er
so
. Dann
so
. Sie haben das erste Auto fertiggesprüht, dann nahmen sie sich das nächste vor. Es ist eine ganze Gang, und jeder von ihnen trägt einen Gangnamen. Der Name Ihres Sohnes ist Sprudel.»
    «Sprudel», sagte Shah.
    Der Polizist, der Wasser geschlürft hatte, nickte. «Sprudel.»
    Satish, stämmig und hellhäutig, strahlte Unbekümmertheit aus, als beträfe die ganze Angelegenheit jemand anderen.
    «Und dann, als wir im Polizeiwagen saßen, sagte mein Kollege Hamid, Sir», der Polizist verwies auf den anderen, «er sagte, ist das nicht der Sohn von Mr Shah, dem Bauherrn? Und dann, angesichts des hervorragenden Verhältnisses, das unsere Wache immer mit Ihnen gehabt hat, Sir … ehe es in die Zeitung kommt …»
    Mr Shah, der Bauherr, hatte genug gehört und wollte seine Habe zurück; mit dem Finger winkte er den Jungen zu sich. Der Polizist hielt ihn nicht auf, Satish schlenderte zu seinem Vater herüber.
    «Seine Freunde? Die anderen Jungs, die –», Shah vollführte die gleiche kreisrunde Bewegung, «das gemacht haben. Was geschieht mit ihnen?»
    «Sie kommen alle auf die Wache. Ihre Eltern werden sie abholen müssen. Wir halten die Namen aus der Zeitung raus. Dieses Mal noch.»
    Shah legte die Hand aufs Herz.
    «Sehr
verbunden.»
    Giri ging sofort in das Arbeitszimmer seines Herrn. Eine Holzschublade wurde aufgezogen, dann geschlossen. Giri tat dies

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