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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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kochte.
Sie sollte mir die Rote Bete geben,
dachte Mary. Was bringt es, sie an diesen Schwachsinnigen zu verschwenden?
    Mit einem
paav
aus Roter Bete auf der roten Süßigkeitenschachtel ging sie zur Hibiscus Society.
    «Warum suchst du hier nach Arbeit? Arbeitest du nicht in Vishram?», fragte der Wachmann.
    «Der Bauherr hat ihnen ein Angebot gemacht. Alle ziehen am 3. Oktober weg.»
    «Ach, ein Sanierungsvorhaben.» Der Wachmann schnalzte mit der Zunge. Er war alt, er hatte viele Genossenschaftshäuser erlebt. «Das wird Jahre dauern. Jemand wird vor Gericht ziehen. Du musst dir jetzt noch keine Sorgen machen.»
    «Alle, die im Slum beim
nala
wohnen – aufgepasst!»
    Ein Mann kam über den Markt gerannt. Er legte die Hände an den Mund: «Slumräumung! Die Männer sind da!»
    Der Wachmann der Hibiscus-Genossenschaft kratzte sich am Kopf und dachte über Marys Angebot nach. «Also gut. Aber was habe ich davon? Bekomme ich einen monatlichen Anteil? Wenn nicht, dann …»
    Doch an der Stelle, wo das Dienstmädchen gestanden hatte, lag nun eine rote Schachtel auf dem Boden, Rote Beten kullerten herum.
    Sie rannte, rannte in Leute hinein. Sie rannte, stieß Fahrräder und Karren beiseite.
    Vorbei an Vishram, vorbei am tamilischen Tempel, vorbei an der Baustelle, wo zwei Häuser entstanden, und in den Slum hinein, durch eine enge Gasse, dann durch die nächste enge Gasse; sie wich streunenden Hunden und Hähnen aus, um das offene Land dahinter zu erreichen. Ein Flugzeug kreiste über ihr. Schließlich erreichte sie den
nala,
einen langen Kanal mit schwarzem Wasser, an dessen Ufer ein paar blaue Zelte aus geteertem Segeltuch standen.
    Ihre Nachbarn hackten Holz, ein Hahn stolzierte um die Hütten, Kinder spielten auf den in den Bäumen hängenden Gummireifen.
    «Keiner kommt hierher, Mary», sagte einer ihrer Nachbarn auf Tamilisch. «Das war blinder Alarm.»
    Mary wurde langsamer, sie keuchte, erreichte ihr Zelt, dessen blaues Segeltuch von einer Holzstange getragen wurde, und blickte hinein. Alles unbeschädigt: Kochöl, Kochgeschirr, die Schulbücher ihres Sohnes, Fotoalben.
    «Sie werden erst nach dem Monsun kommen», rief ihr Nachbar. «Bis dahin sind wir sicher.»
    Mary setzte sich und wischte sich das Gesicht ab.
    Inmitten Vakolas Flickenteppich illegaler Slums, halblegaler Slums und Inseln verstreuter Hütten führten diese Verschläge am verschmutzten Kanal, dem
nala,
der durch den Vorort schnitt, die prekärste Existenz. Weil sie sich erst nach der letzten Amnestie der Regierung für illegale Slums hier angesiedelt hatten und weil der
nala
bei starkem Monsunregen überflutet werden konnte, waren den Bewohnern dieses Elendsviertels keine Ausweise ausgestellt worden, die die Existenz eines Slumbewohners «gesetzlich festlegten» und ihm das Recht gaben, in einem
pucca –
anständigen – Gebäude untergebracht zu werden, wenn die Regierung seine Hütte niederwalzte. Kommunalbeamte hatten den Siedlern am
nala
wiederholt mit Räumung gedroht, bisher war jedoch immer jemand eingeschritten, um sie davor zu bewahren, in der Regel ein Politiker, der ihre Stimmen bei der nächsten Gemeindewahl benötigte. Letzten Monat hatte Mrs Rego die Siedler am
nala
besucht, um ihnen zu erklären, dass sich die Dinge geändert hatten. Nun war eine neue Zeit in Bombay angebrochen: Die Verbindung von Korruption mit Nächstenliebe und Schwerfälligkeit, die sie seit Langem geschützt hatte, zerfiel allmählich. Ein neuer Beamter mit Willenskraft war jetzt für die Säuberung der illegalen Slums der Stadt zuständig. Er hatte großflächig illegale Slums in Thane zerschlagen und versprochen, das Gleiche auch in Mumbai zu tun. Jeder Tag, den ihr Slum überlebte, war als ein Wunder zu betrachten.
    Die blauen Hütten am
nala
waren nun erleuchtet. Mary hatte von Mrs Rego eine alte batteriebetriebene Leuchtstofflampe bekommen, die sie mit einem Haken an das Zeltdach gehängt hatte.
    Ein wenig später kam jemand, um nach ihr zu sehen. Es war das Schlachtschiff höchstpersönlich.
    Mary wischte sich die Hände am Sari ab und kam heraus.
    «Das heute war blinder Alarm, Mary. Aber früher oder später werden sie das hier abreißen. Du solltest umziehen, solange es noch geht.»
    «Das ist mein Zuhause, Madam. Würden Sie Ihr Heim verlassen?»
    Sie fragte das Schlachtschiff nach Timothy, ihrem Sohn. «Spielt er am Tempel Kricket?»
    «Lass ihn spielen, Mary. Er ist noch ein Kind. Später wird keine Zeit mehr zum Spielen sein.»
    «Diese anderen

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