Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
habe?»
    Er ließ Mariam auf dem Boden krabbeln. «Glaubst du, dass ich mein ganzes Leben in diesem Internetcafé festsitzen will? Will ich, dass meine Kinder in Armut aufwachsen?»
    «Dann bist du also auf unserer Seite, Ibrahim.» Ajwani grinste. «Warum hast du dann deine Schachtel mit den Süßigkeiten nicht genommen?»
    «So einfach ist das nicht.» Kudwa bat mit einer Handbewegung um Geduld.
    Denn da gab es den Ausdruck, mit dem Mrs Puri Masterji bezeichnet hatte, «englischer Gentleman». Obwohl sie das Angebot annehmen wollte, bewunderte sie dessen Haltung. Wie würden die Nachbarn
seinen
Charakter beurteilen, wenn er gierig nach Mr Shahs Geld griffe?
    «Ich möchte, dass man gut von mir denkt. Die Leute im Haus halten mich für einen aufrichtigen Mann.»
    Kudwa kratzte sich mit beiden Händen den Bart.
    «Natürlich tun wir das», sagte Ajwani. «Übrigens, das war hier neulich wirklich ein guter Witz. Was du da auf das Schild vor dem Haus geschrieben hast. Was war’s doch gleich? Wir bedauern die Unannehmlichkeiten, aber die Arbeit …»
    «Laufende Unannehmlichkeiten, wir bedauern die Arbeit.» Kudwa strahlte. Mariam wagte sich unter einen der Computer, er hob sie hoch und kehrte mir ihr zum Stuhl zurück.
    «Alle mögen dich, Ibrahim. Aber ob dich die Leute immer noch mögen, wenn du nicht Ja sagst, weiß ich nicht.»
    Kudwa wackelte mit dem Kopf.
    «Es verursacht mir Magenschmerzen, Ajwani. Der bloße Gedanke an eine Entscheidung. Meine Frau sagt, ich besäße mehr Nerven als Fleisch. Man sollte von einem Mann mit schwachem Magen
nie
verlangen, dass er Entscheidungen fällt.»
    Ajwani bemerkte einen Streifen herzförmiger Tabletten gegen Sodbrennen in Kudwas Hemdtasche, stumme Zeugen seiner Behauptung. Er beugte sich vor und schnippte mit den Fingern gegen die Tabletten.
    «Komm mit, Ibrahim. Ich löse dein Problem im Handumdrehen.»
    Kudwa hob Klein-Mariam vom Boden hoch, rief Arjun, der den Hof hinter dem Café fegte, zu, er solle sich um den Laden kümmern und aufpassen, dass die Kunden nicht irgendwelche «schmutzigen Websites» herunterluden, während er weg war, und folgte seinem Nachbarn zur Vishram Society.
    Als sie an ihrem Wohnhaus vorbeigingen, warf Kudwa einen Blick auf das Büro des Verwalters.
    Kothari hatte ihm an diesem Morgen seine Afrikageschichte erzählt, wie jedem anderen Mitglied der Wohnungsgenossenschaft. Endlich ergab die seltsame und doch umgängliche Persönlichkeit des Verwalters für Kudwa Sinn. All die Jahre hatte die Scham des aus Afrika zurückgekehrten Vaters, die Scham des Auswanderers, der mit leeren Händen zurückkehrt, dafür gesorgt, dass seine Geselligkeit zerstört worden war. Hätte es diese Scham nicht gegeben, Kothari wäre ein anderer Mensch gewesen. Sie alle hätten andere Menschen sein können.
    «Schon seltsam, dass der Verwalter eine Leidenschaft für Flamingos hat», sagte er.
    Ajwani drehte sich um. «Schon seltsam, dass der Verwalter
überhaupt
eine Leidenschaft hat.»
    «Vielleicht sollten wir alle hier in diesem Haus bleiben und uns besser kennenlernen. Vielleicht ist das der eigentliche Zweck von Mr Shahs Angebot.»
    «Nein.» Ajwani rieb imaginäre Geldstücke zwischen den Fingern. «Es soll uns reich machen, das ist der Zweck.»
    Er schritt über das Grundstück in Richtung Turm B. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude deutete er auf ein Fahrzeug mit einem goldenen «V»-Flor auf der Motorhaube.
    Ein Toyota Innova, direkt aus dem Ausstellungsraum. Er war erst vor zwei Tagen geliefert worden, musste allerdings schon Wochen vor Mr Shahs Angebot bestellt worden sein.
    Ajwani, der Informationen über die gesamte Mittelschicht Vakolas hortete, hatte schnell den Namen des Besitzers ermittelt:Mr Ashish, ein Softwareentwickler, einer der Bewohner von Turm B.
    «Was siehst du da?», fragte Ajwani.
    «Ein Auto. Ein neues Auto.»
    »Nein. Was du siehst, sind zehn Jahre voller Schufterei, Knauserei und Aufopferung, ehe du dir so etwas kaufen kannst. Aber es gibt auch andere Wege, Ibrahim. Fass es an.»
    «Es anfassen?»
    Ajwani wischte Kudwa ein paar Schuppen von der Schulter und zeigte auf Mariam.
    «Mach dir keine Sorgen wegen des Besitzers. Er
will,
dass du das Auto anfasst. Du weißt doch, wie die Leute von Turm B sind.»
    Ibrahim Kudwa reichte seine Tochter dem Nachbarn. Er strich sich durch den Bart und machte dann einen Schritt auf das goldbandgeschmückte Auto zu. Sein Zeigefinger näherte sich der schimmernden Metallkarosserie, und sofort zerbrach die

Weitere Kostenlose Bücher