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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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bereits ausgeschaltet und der Lampenschein auf die gegenüberliegende Wand gerichtet.
    Zehn Minuten später rannte Masterji die Treppe hinunter und traf die Jungen draußen beim Kricketspiel an. Mohammad Kudwa warf, Anand Ganguly hielt ein Schlagholz hoch. Sunil Rego fungierte als Fänger.
    «Masterji, stehen Sie nicht dort rum», rief Mohammad, «Sie könnten den Ball abkriegen!»
    «Es ist Zeit für die Nachhilfestunde, Mohammad.»
    Der Junge drehte sich um und grinste.
    «Boykott,
Masterji.»
    Er warf den Ball in Anand Gangulys Richtung, der sich nach hinten lehnte und ihn mit einem harten Schlag hochdonnerte; er prallte von einem Fenstergitter im vierten Stock ab und flog nach unten.
    «Boykott?», fragte Masterji und wich einen Schritt zurück, um dem aufprallenden Ball auszuweichen. «Ist das die neueste Ausrede, um nicht zur Nachhilfestunde zu kommen?»
    Er marschierte zum Parlament, wo er auf Mrs Saldanha traf, die sich mit Mrs Kudwa unterhielt. Mrs Kudwa hatte Mariam auf dem Schoß und kitzelte sie.
    «Ihr Sohn weigert sich, an der Nachhilfestunde teilzunehmen, Mrs Kudwa. Wussten Sie das?»
    Die beiden Frauen standen umgehend von ihren Stühlen auf, gingen ins Gebäude und stellten sich vor das Schwarze Brett. Dort unterhielten sie sich weiter.
    «Mit uns sprechen sie auch nicht», sagte Mr Pinto.
    Masterji ging die Treppe zu 3 C hinauf. Mrs Puri öffnete die Tür mit der linken Hand, die Finger ihrer Rechten, mit der sie Ramu mit Quark und Reis gefüttert hatte, waren aneinandergepresst und beschmutzt. Ramu saß mit einer Schürze am Tisch; er strahlte seinen Masterji an.
    «Sangeeta, was ist los?»
    «Ramu», sie drehte sich zu ihrem Sohn um und sagte (mit einem gezwungenen, breiten Lächeln, damit er die Bedeutung ihrer Worte nicht erriet), «sag deinem Masterji, dass es einen Boykott gibt.»
    «Boykott?», fragte Masterji. «Was soll das heißen?»
    «Ramu», Mrs Puri lächelte wieder, «Masterji, der ein berühmter Lehrer ist, weiß bestimmt alles über Gandhi und Nehru und wie sie mit den Briten umgegangen sind.»
    «Gandhi und Nehru und … Mrs Puri, das ist doch Wahnsinn.»
    «Wahnsinn?»
Mrs Puri gluckste. Ramu am Tisch stimmte mit ein.
    «Und ein Angebot für seine Wohnung abzulehnen, das 250 Prozent des Marktwertes beträgt, ist kein Wahnsinn, Ramu? Manche Leute sollten das Wort Wahnsinn nicht in den Mund nehmen, Ramu.»
    «Ich habe nicht Nein gesagt. Ich denke immer noch über Mr Shahs Angebot nach.»
    Mrs Puri sah ihren Nachbarn an.
    «Immer noch?
Das müssen aber tiefsinnige Gedanken sein. Sie haben doch immer gern Ihre Gedanken mit uns geteilt, Masterji. Haben wir Sie jemals darum gebeten, Verwalter dieser Genossenschaft zu werden? Das sagt wohl genug darüber, was wir von Ihren tiefsinnigen Gedanken halten.»
    «Ich habe nicht Nein gesagt. Aber ich lasse mich nicht zwingen, eine –»
    Mrs Puri schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Masterji kehrte in seine Wohnung zurück, setzte sich an den Teakholztisch und trommelte mit den Fingern auf die Stuhllehne, als könnte er nicht glauben, dass die Jungen wirklich nicht zur Nachhilfe kamen.

24. JULI
    Masterji öffnete die Tür. Sein Abfalleimer war umgeschmissen worden.
    Teile des Mülls, Bananenschalen zum Beispiel, lagen weit von seiner Tür entfernt, als hätte sie jemand dorthin gekickt.
    Er ließ sich auf ein Knie nieder und sammelte den verstreuten Müll wieder ein.
    Der Fuß einer jungen Frau schob ihm die Bananenschalen hin.
    «Lassen Sie ruhig, Ms Meenakshi, ich mach das schon.»
    «Ich wollte nur helfen.»
    Die schimmernde schwarze Jeans seiner Nachbarin ließ etwas Haut oberhalb der Knöchel frei, und sie trug keine Socken; im Silbergitter ihrer Sandalen wirkten ihre runden weißen Zehen mit dem blutroten Lack wie ein Bonsai-Dekolleté. Wenn sie erst mal die Spange los war und sich eine hübschere Brille zugelegt hätte, würde sie eine sehr hübsche Braut abgeben, befand Masterji.
    Beim Aufstehen belastete er das falsche Bein, ein scharfer Schmerz schoss quer durch sein linkes Knie wie der Akzent über dem französischen ‹e›.
    Accent aigu.
Er malte das Zeichen in die Luft, erfreut, dass er seiner Arthritis durch die Verknüpfung mit einer schönen Sprache ein wenig Kultiviertheit verleihen konnte.
    Ms Meenakshi lehnte an ihrer Tür, grinste und entblößte ihre Spange.
    «Diese Frau muss Sie sogar noch mehr hassen als mich.» Sie neigte den Kopf in Richtung Mrs Puris Tür. «Meinen Müll
durchwühlt
sie bloß.»
    «Das war die

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