Letzter Weg
Flanagan hielt kurz inne. »Was ich vorhin gemeint habe, über deine Art zu laufen …«
Cathy wartete.
»Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich darüber rede?«, fragte Flanagan nach.
»Ganz und gar nicht«, antwortete Cathy. »Ich kann alle Hilfe brauchen, die ich bekommen kann.«
Sie verließen die Aschenbahn und gingen gemeinsam von der Leichtathletikanlage über einen von Palmen beschatteten Pfad zum Parkplatz, zwei Athletinnen im Trainingsanzug – die rothaarige, hochgewachsene Kez Flanagan und die ein wenig schlankere und fünf Zentimeter kleinere Cathy mit ihrem blonden Haar. Beide gingen unbewusst im gleichen, federnden Schritt.
»Ich bin keine Trainerin«, sagte Flanagan in sachlichem Tonfall. »Aber ich weiß, dass es wichtig ist, die Kontrolle über sich selbst zu haben. Wegzulaufen mag sich ja großartig anfühlen, aber wenn du läufst, zählt nur, wohin du läufst.«
»Das Ziel.«
»Und wie du dorthin gelangst«, fügte Flanagan hinzu. »Du musst auf deinen Körper achten und darfst dich nicht verletzen.«
»Klar«, sagte Cathy.
»Du könntest jemanden brauchen, der dir noch das ein oder andere beibringt«, erklärte Flanagan.
»Wir haben Delaney«, erwiderte Cathy.
Mike Delaney war der Lauftrainer an der Trent University, ein netter Kerl. Allerdings waren einige Studenten der Meinung, dass er nicht der Richtige sei, ihre Mannschaft zur Meisterschaft zu führen.
»Delaney ist in Ordnung«, sagte Flanagan. »Und er war gut zu mir.«
»Er nennt dich seinen Star«, sagte Cathy.
»Er hat mich auch schon anders genannt.« Wieder zuckte Flanagan mit den Schultern. »Und er hatte recht.«
Sie waren nun fast am Parkplatz, der nur zur Hälfte mit den Wagen der Sommerstudenten und Angestellten gefüllt war. »Falls du interessiert bist«, fuhr Flanagan in beiläufigem Ton fort, »könnten wir ja mal zusammen laufen.«
Cathy war mehr als nur interessiert.
»Das fände ich toll«, sagte sie.
5.
»Wir haben einen zwei Jahre alten ungelösten Mordfall in Pompano Beach«, sagte Martinez am Donnerstagnachmittag. »Das könnte was sein.«
»Tatsächlich am Strand?«, hakte Sam nach.
»Ja.« Martinez saß auf der Kante von Sams mit Akten überladenem Schreibtisch in einer Ecke des Großraumbüros der Abteilung und schaute sich seine Notizen an. »Das Opfer, Carmelita Sanchez, wurde mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen, vermutlich ein Baseballschläger, und dann im Gesicht entstellt.« Seine Wangen zuckten vor Ekel. »Der Bastard hat ihr die Lippen abgeschnitten.«
Sam brauchte ein, zwei Sekunden, bis er sich im Geiste diesem Bild stellen konnte; dann legte er es zur späteren Referenz im Hinterkopf ab. Kurz schaute er zu einem der Poster der Florida Grand Opera, die in diesem Teil des Büros an der Wand hingen, bevor er sich wieder dem Beruflichen zuwandte.
»Muller hat man die Kehle durchgeschnitten«, sagte Sam. »Das war hässlich, aber nicht so abgedreht wie das.«
»Aber auch dieser Angriff hat in zwei Phasen stattgefunden«, gab Martinez zu bedenken. »Und da ist noch etwas: In beiden Fällen haben Zeugen von der gleichen Art Schreien berichtet.« Er schaute auf das Blatt Papier in seiner Hand. »›Irre Schreie‹, hat damals ein Kerl gesagt.« Er schaute wieder zu Sam. »›Wie ein Tier.‹«
»Das reicht, um mit Broward zu reden.« Sam war schon aufgestanden.
6.
12. August
In seinem Traum sah Gregory Hoffman alles noch einmal.
Wenn auch verschwommen, da sein noch halb schlafendes Hirn sich weigerte, die Bilder zu genau, zu realistisch wiederzugeben.
Der Schrecken jedoch war ungemindert.
Das Ding, das bedrohlich aus der Nacht auftauchte … oder vielleicht nicht wirklich auftauchte; es war mehr wie ein Wirbelsturm, nur fest, stofflich … Dieses Ding war eine Gestalt, eine Person, nahm er an, nur dass sie zu dunkel und zu schnell war, um sie genauer sehen zu können. Aber dieses Ding flog auf den anderen Kerl zu, und im einen Augenblick rannte der Kerl noch, im nächsten lag er im Sand.
Doch während der Mann niedergeschlagen wurde, erklangen Geräusche … schreckliche, Übelkeit erregende Geräusche, und Greg wusste sogar in den Tiefen seines Traums, dass es die Geräusche der zerberstenden Gesichtsknochen des Mannes waren. Und dann war da sein Schrei, der ungeheuer schnell abgeschnitten wurde, denn er konnte kein Geräusch mehr von sich geben; außerdem war das Meer viel zu laut. Das Donnern der Brandung erstickte jedes andere Geräusch, und das
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