Leuchtfeuer Der Liebe
Augen.
„Palina", begann Jesse versöhnlicher.
Sie lachte. Sie gehörte zu den wenigen Menschen, die es wagten, über ihn zu lachen. „Captain Leuchtturmwärter, du gerätst schon in Rage, wenn ein welkes Blatt vor dir auf den Weg fällt. Und diese junge Frau ist mehr als ein Blatt..."
„Richtig", sagte er im Aufstehen. „Heute bringe ich sie in euer Haus. Kümmert ihr euch um sie. Mir fehlt das nötige Feingefühl, um eine zartbesaitete Dame zu pflegen."
„Nein", entgegnete Magnus. „Du behältst sie. Wenn jemand einem anderen das Leben rettet, ist er verpflichtet, sich um sein Wohl zu kümmern. Was immer sie braucht, um gesund zu werden, wirst du ihr geben. Wenn du dich nicht daran hältst, hat das für euch beide schreckliche Folgen ..."
„... für uns alle", fügte Palina düster hinzu.
„Folgen, die du dir gar nicht vorstellen kannst", beendete Magnus die Liste der Anschuldigungen und Drohungen.
„Das ist abergläubischer Bockmist, das wisst ihr genau", erwiderte Jesse.
„Es ist das Gesetz der See, und ich lasse nicht zu, dass dieses Gesetz missachtet wird", beharrte Magnus eigensinnig. „Willst du etwa das Risiko eingehen, sie zu verlieren? Nur um dein bequemes Leben weiterzuführen?"
„Vielleicht will ich das."
„Vielleicht willst du das nicht", entgegnete Palina, hob das
Kinn und polierte die nächste Messingarmatur mit verbissenem Eifer. „Und wenn sie stirbt, weil du sie zu uns karrst, wie? Wie fühlst du dich dann? Diese Frau ist ein Geschenk, Jesse Morgan. Du weißt, warum sie gekommen ist. Du kannst die Augen nicht vor deiner Bestimmung verschließen."
Eine unheilvolle Ahnung berührte Jesse wie ein kalter Hauch. Er richtete den Blick in die Ferne des graublauen Horizonts, dann schaute er nach unten in die Brandung unter dem Leuchtturm. Weiße Gischt peitschte die Felsen hinauf, wich zurück, gab die schwarzen Brocken frei und attackierte sie erneut.
Ein lauter Pfiff schreckte ihn auf. Es war Judson Espy, der Hafenmeister, der auf einer klapprigen, grau gefleckten Stute heranritt.
„Die See hat mir nichts geschenkt", sagte Jesse, „außer Ärger und Scherereien, bis wir herausfinden, wer diese Frau ist." Er polterte die gewundene Eisentreppe hinunter. Vielleicht brachte Judson gute Nachricht.
Judson kam ihm über die Wiese zwischen dem Leuchtturm und dem Wald entgegen und wedelte mit Papieren in der Luft.
„Interessante Angelegenheit."
„Was denn?" Jesse verlangsamte seinen Schritt und fragte sich, ob Judson schlechte Nachrichten brachte.
„Ein Viermastschoner hatte Kurs auf die Shoalwater Bay genommen, um eine Ladung Austern aufzunehmen. Das Schiff kam aus San Francisco mit Fracht an Bord, die in Portland gelöscht werden sollte. Dort ist es nie eingelaufen."
Jesse verschränkte die Arme vor der Brust. Er blickte auf die See hinaus, die endlos und unvergänglich war in ihrem Reichtum - und in ihrer Zerstörungswut.
Die Geschichte war ihm vertraut. Der gierige Schlund der Co lumbia -Mündung verschlang in erschreckender Regelmäßigkeit Schiffe und spuckte die Wrackteile wie unverdauliche Knochen an den Küsten aus. „Hast du die Passagier- und Mannschaftslisten?"
„Ja." Judson reichte sie ihm. „Kam per Telegraf."
Jesse fingerte nach seiner Brille in der Hemdtasche, setzte sie auf und studierte die Liste. Jedes Mal, wenn er eine solche in der Hand hielt, kehrte die Erinnerung zurück an jenen Tag, als er auf dem Pier gestanden und hektisch eine Passagierliste überflogen hatte, in der vergeblichen Hoffnung, es liege ein Irrtum vor. Und dann war seine Welt eingestürzt, als er den Namen seiner Frau gelesen hatte.
„Fühlst du dich nicht wohl?" fragte Judson jetzt.
Jesse schluckte und starrte ihn durch die Brille an. „Nur Besatzung. Keine Passagiere?"
„Nein. Das ist die vollständige Liste."
Er überflog die Namen ein zweites Mal, suchte nach einem irischen Namen, O'Malley oder Flanagan. „Sie könnte die Frau eines Matrosen sein, und man hat nur vergessen ..."
„So etwas wird nie vergessen. Sieh dir den Namen des Schiffes an. Und den des Schiffseigners."
Jesses Blick glitt ans Ende der Liste. Und ihm war, als würde sich ein Strick um seinen Hals legen und ihm die Kehle zuschnüren. „Es war die Blind Chance."
„Du hast ein gutes Gedächtnis, wie?"
„Die Blind Chance ist ein Schiff der Shoalwater Bay Company."
„Deiner eigenen Schifffahrtsgesellschaft, Jesse. Bei denen kommen nie Fehler in den Schiffspapieren vor."
„Sie gehört nicht
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