Leuchtfeuer Der Liebe
Schloss.
„Törichtes Frauenzimmer." Er fuhr in die Ärmel seines Mantels, setzte sich die Mütze auf den Kopf, nahm die Laterne und trat ins Freie hinaus. „Sie kommen in der Dunkelheit sicher vom Weg ab."
„Nicht, wenn Sie mir leuchten", rief sie eigensinnig.
Zur Hölle mit ihr. Sie drängte ihn in die Welt hinaus, in die er nicht gehen wollte. Er ließ sich nicht gern drängen. Doch er war gezwungen, ihr zu folgen. Vorher aber warf er einen Blick zur Klippe hinüber, um zu prüfen, ob am Leuchtturm alles in Ordnung war. In dieser Nacht hatte Erik Wache.
Jesse hielt die Lampe hoch und konnte einen Schatten auf dem Weg den Hügel hinunter erkennen. Er lief hinter ihr her. „Ich muss sagen", meinte er trocken, „Ihre rasche Genesung gefällt mir."
„Mir auch."
Der Schein der Öllampe tauchte ihr Gesicht in weiches Licht. Es gab gewiss schönere Frauen als sie. Bis vor kurzem hatte er sich für einen Mann gehalten, der sich vom Aussehen einer Frau nicht beeindrucken ließ. Aber an Marys Gesicht war etwas Besonderes, eine ursprüngliche Weisheit, die ihrer Schönheit Tiefe und Bedeutung verlieh.
Es machte ihm Angst, solche Gedanken über eine Frau zu haben, die er für gefährlicher hielt als sein körperliches Verlangen. Jesse fühlte sich doppelt schuldig.
„Wenn Sie sich weiter so gut erholen, können Sie bald abreisen", stellte er fest. „Wissen sie denn schon, wohin Sie gehen werden?"
Sie ging mit schweren Schritten den Pfad entlang und schlug einen Zweig beiseite. „Haben Sie sich etwa entschlossen, Mitgefühl zu zeigen?"
Er wollte mit Nein antworten, sagte aber zu seinem großen Erstaunen etwas anderes. „Es ist mir eben ein Anliegen."
„Ach, diese gewählte Ausdrucksweise", neckte sie, blieb ihm die Antwort aber immer noch schuldig. Sie hob das Gesicht dem Nachthimmel entgegen. Uber den schlanken Zweigen in luftiger Höhe blinkten die Sterne. Bald würde der Mond am Himmel stehen. Ohne Vorwarnung nahm sie Jesses Hand. „Man muss sich seiner Gefühle nicht schämen."
Er entzog sie ihr brüsk. „Man muss seine Gefühle aber auch nicht zu Markte tragen."
Mit einem verächtlichen Schnaufen beschleunigte sie ihre Schritte und legte den Weg zu den Jonssons mit erstaunlicher Ausdauer zurück. Bald wurden durch die dichten Bäume erleuchtete Fenster sichtbar. Mary blieb an der Gartentür stehen.
„Was ist los?" fragte Jesse.
„Hören Sie. Hören Sie zu."
Die Geräusche aus dem Blockhaus waren so einladend wie die erleuchteten Fenster. Männerlachen und Palinas singende Stimme, jemand spielte Mundharmonika, Füße schlugen den Takt dazu.
Mary lächelte zu Jesse auf. „Sie feiern ihre Rettung."
Er wusste nicht, was er sagen sollte. So erging es ihm ständig mit Mary. Sie stieß das Gartentor auf und stieg die Stufen zur Veranda hinauf. Eriks Spaniel Thorwald hob den Kopf und bellte ihnen freudig entgegen. Magnus erschien an der Haustür, einen Krug in der gesunden Hand. „Nur hereinspaziert!" rief er fröhlich. „Wir haben leckere eine Flasche von Palinas Preiselbeerlikör geöffnet."
Mary strahlte übers ganze Gesicht, schien in Gesellschaft anderer aufzublühen wie eine Blume im Sonnenschein. Nur gut, dass sie bald gehen würde, denn menschliche Gesellschaft war das Letzte, was Jesse ihr bieten konnte.
Sie begrüßte die russischen Seeleute mit einem herzlichen Handschlag und versuchte lachend, ihre Namen richtig auszusprechen. „Welch ein Segen, dass ihr alle wohlauf und munter seid", sagte sie. Jesse war überrascht, Tränen in ihren Augen zu sehen, die sie heftig zurückblinzelte.
Einer der Männer stand auf und packte Jesse bei den Schultern. Der stämmige Kerl mit wettergegerbtem Gesicht grinste breit und entblößte vom Tabak verfärbte gelbe Zähne. „Ich Dimitri Spartak", stellte er sich mit einem schweren russischen Akzent vor, „von Fischschoner Natalya. Danke vielmals für Rettung."
Der Russe zog Jesse an seinen breiten Brustkasten und küsste ihn schmatzend auf beide Wangen.
„Nastrovie!" Alle hoben die Gläser und prosteten Jesse zu.
Welche Ironie, dass Jesse zum ersten Mal nach zwölf Jahren von einem Mann mit dunkel verfärbten Zähnen und kratzendem Stoppelbart geküsst wurde. Er verzog die Lippen zu einem befangenen Lächeln. Der Mundharmonikaspieler stimmte eine lustige Melodie an und schlug den Takt mit den Stiefelabsätzen dazu. Die Männer sprangen auf und begannen im Kreis zu tanzen. Mary und die Jonssons reihten sich ein und tanzten lachend mit,
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