Leuchtfeuer Der Liebe
keinen Zweifel. Wenn sie allerdings bei ihm nach Liebe suchte, war sie an den Falschen geraten.
Seine Fantasie gaukelte ihm das Bild eines anderen Mannes vor - eines jungen, hübschen Kerls mit einem offenen Lächeln der Mary in den Armen hielt, ihren herrlichen, nackten Körper streichelte, den Jesse einen allzu kurzen Moment gesehen hatte. Zorn stieg in ihm hoch. Er hatte gewiss kein Recht, Besitzansprüche an sie zu stellen, und dennoch war es so. Gegen jede Logik war es so.
„Ich denke kaum noch an ihn", behauptete sie.
„Wie kann das sein?" fragte er schroff. „Sie werden doch ständig an ihn erinnert."
Scharf zog sie den Atem ein, umklammerte das Holzgeländer, bis ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Sie sind grausam, Jesse Morgan. Wo haben Sie gelernt, so grausam zu sein?"
Er nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte ihren Kopf zu sich und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Er wollte sie davon überzeugen, dass sie hier am falschen Ort war.
„Können Sie sich das nicht denken?" fragte er kalt. „Ich habe es von einer Frau gelernt."
8. KAPITEL
M ary stand über den Küchentisch gebeugt, schnitt die Stoffteile zu, die sie in dem blauen Schrank gefunden hatte, nähte mit flinken Stichen Bahnen aneinan der und träumte von längst vergangenen, glücklichen Zeiten, damals in Irland, als sie mit ihrer Mutter genäht hatte.
Allerdings drängte sich die Gegenwart rasch wieder in ihre Tagträume. Sosehr sie sich bemühte, Mary konnte nicht aufhören, an den Augenblick zu denken, als Jesse sie in der Badewanne überrascht hatte.
Immer noch ließ die Erinnerung an diesen bangen Moment ihr Herz schneller klopfen. Zugegeben, die Situation war peinlich, aber da war noch etwas anderes. Ein Gefühl, das zu aufrichtig, zu stark war, um es als bedeutungslos abzutun. In diesem atemlosen, wunderbaren Moment, in dem die Zeit stehen geblieben war, als er sie angeschaut hatte und sie wie gelähmt gewesen war, war ein knisternder erotischer Funke zwischen ihnen übergesprungen.
Verlangen. Erkennen. Sehnsucht. Und mehr noch. Zum ersten Mal hatte Jesse sie als Frau wahrgenommen und nicht nur als lästige Pflicht.
Das alles hatte nur eine Sekunde gedauert, allerdings lange genug, um Mary wissen zu lassen, dass sie nicht mit einem kalten Fisch unter einem Dach wohnte, sondern mit einem Mann aus Fleisch und Blut.
Der Gedanke war beängstigend und erregend zugleich.
Nach allem, was sie durchgemacht hatte, sollte sie jedem Mann mit Verachtung und Misstrauen begegnen, doch Jesse Morgan war anders. Er war ein ungewöhnlicher Mann, einer, der sich über alle Warnungen ihrer inneren Stimme hinwegsetzte. Einer, der im Widerspruch zu allem stand, was die Vergangenheit sie gelehrt hatte.
Sie war froh, allein im Haus zu sein, um sich über einige Dinge Klarheit zu verschaffen. Jesse Morgan war auch ein ausgesprochener Dickkopf, der sich keinen Deut darum kümmerte, was andere über ihn dachten. Sie sollte froh sein, dass sie sich endlich in einem Punkt einig waren.
Sie konnten einander nicht ausstehen. Und das war sehr schade, da sie eine wichtige Entscheidung getroffen hatte.
Sie hatte beschlossen, bei ihm zu bleiben.
Sie musste es tun. Hier war der einzige Ort, an dem sie sich sicher fühlte. Die Leuchtturmstation lag am Ende der Welt, hier war sie geschützt und unauffindbar. Die perfekte Heimat für sie und ihr Kind. Sie wusste, wie Jesse reagieren würde: mit Entsetzen und Ablehnung. Er würde sie aus dem Haus, aus seinem Leben jagen wollen.
Und dann würden sie wieder streiten.
Mary hasste Streit und beschloss, ihm ihr Vorhaben gar nicht erst mitzuteilen. Er würde früh genug begreifen, dass sie nirgend- wohin gehen würde.
„Guten Morgen", rief eine Stimme von der Tür her.
Mary blickte auf und lächelte Palina entgegen. „Kommen Sie herein! Auf dem Herd steht warmer Kaffee."
Palina schenkte sich einen Becher Kaffee ein und setzte sich zu ihr. „Sie nähen Vorhänge, wie?"
„Ja." Mary hielt stolz eine gelb gemusterte Stoffbahn hoch. „Ich finde, das Haus braucht ein paar Farbtupfer."
„Mehr als Sie ahnen, kleine Seejungfrau. Dieses Haus sehnt sich nach Farbe und fröhlichem Lachen und nach sehr viel mehr."
„Leider kann ich nur ein wenig Farbe beisteuern." Mary nähte den angekräuselten Vorhang fest. Was würde Palina wohl zu ihrem Entschluss sagen, gegen Jesses Wunsch hier zu bleiben? „Jetzt, da ich wieder gesund und munter bin", begann sie zögernd, „wird Jesse mich
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