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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
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verändert.
    „Austernboote", sagte Mary in seine düsteren Grübeleien. „Haben die Boote keine andere Fracht an Bord?"
    „Nein. Sie bringen ihren Fang nach San Francisco."
    „Eine ganze Flotte. Ich verstehe gar nicht, wie man dieses glibberige Zeug essen kann." Sie schüttelte sich angewidert.
    Jesse hielt Ausschau nach einem Platz, wo er Pferd und Wagen abstellen konnte. Hier am Stadtrand von Oysterville hatten viele Festbesucher ihre Kutschen und Pritschenwagen bereits abgestellt, die im hohen wogenden Schilf aussahen wie unförmige Boote im Meer. Das Ungetüm der hohen Postkutsche nahm sich aus wie eine Fregatte.
    „Die Bergleute und Straßenbauer in Kalifornien reißen sich um Austern. Ich kann mir gut denken, dass Männer, die sich monatelang bei ihrer schweißtreibenden Arbeit nur von Bohnen und Pökelfleisch ernährt haben, ganz wild nach frischen Austern sind. Sie sind sehr nahrhaft und auch gesund." Jesse lenkte den Einspänner in den Schatten einer ausladenden Trauerweide, deren Zweige bis zum Boden und in den daneben fließenden Bach hingen.
    „Manchmal brachte Pa Austern mit nach Hause", sagte Mary, „aber mich hat es immer davor geekelt."
    Er hörte ihren wehmütigen Tonfall. Sie sind gestorben. Sie sind tot. Alle.
    Wenn Jesse etwas nachfühlen konnte, so war es die Trauer um Verstorbene. Dieser Kummer überschattete jeden Tag seines Lebens. Mary aber schien gelassen damit umzugehen. Sie bewahrte die Erinnerung an ihre Lieben im Herzen, ohne sich an ihren Kummer zu klammern wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm.
    Wie schaffst du das, Mary ? Wie kannst du das ertragen ?
    Es verwunderte ihn, dass es eine andere Art gab, mit Verlust umzugehen. Ihre Art, dachte er grollend, ist ihre Sache. Schließlich hat sie keinen Treuebruch an einem Menschen begangen, den sie liebte. Schließlich hat sie ihre Familie nicht in den Tod getrieben.
    Nachdem er abgesessen war und das Pferd angebunden hatte, wollte er ihr aus dem Wagen helfen. Es war nur eine unpersönliche, höfliche Geste.
    Doch bei Mary war alles anders. Sie schmiegte sich an seine Hände, er hielt sie knapp unter den Achseln, seine Daumen waren ihren Brüsten gefährlich nah. Meine Güte ... es war so lange her, dass seine Hand sich um eine feste Frauenbrust geschlossen hatte.
    Die Berührung versengte ihn wie Feuer. Doch damit nicht genug. Sie lächelte aus strahlenden Augen, ihr kirschroter Mund erschien ihm verlockend wie nie zuvor.
    Er hielt sie wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe und stellte sie sanft auf die Erde.
    Hastig verdrängte er den Gedanken an das Leben, das in ihr heranwuchs. Marys Kind. Irgendwann hatten sie eine stillschweigende Übereinkunft getroffen, nicht von ihrem Kind zu sprechen, nicht davon, wer der Vater war und warum Mary sich weigerte, seinen Namen zu nennen.
    Doch plötzlich befiel Jesse eine unheilvolle Ahnung wie vor einem aufkommenden Sturm. Ein bevorstehendes Unglück erschien ihm unausweichlich. Irgendwann waren beide gezwungen, sich der Tatsache zu stellen, ähnlich wie die Küstenbewohner gezwungen waren, sich auf ein Unwetter einzustellen, das eine Schneise der Zerstörung hinterließ, die Leben vernichtete. Niemand konnte sich vor dem Unheil schützen.
    Dieses Gefühl ergriff ihn beim Gedanken an Marys Kind. Er nahm sich vor, mit ihr darüber zu reden. Wenn sie seine Gefühle kannte, würde sie gehen.
    Doch beim Blick in ihr lächelndes Gesicht stockte ihm der Atem.
    Verdammt noch mal.
    Wenn sie bliebe, würde er ihr das Herz brechen. Vor Marys Auftauchen hatte er geglaubt, sein Leben würde sich nie wieder ändern, weil er es so wollte. Sie aber hatte ihm Herz und Verstand für neue Hoffnungen geöffnet.
    Hoffnungen, die verloren wären, wenn er sie gehen ließe.
    Jesse hob die tief hängenden Weidenzweige wie einen Vorhang, und die langen lanzettförmigen Blätter schienen zu flüstern, als das Paar unter dem Blätterdach hervortrat.
    „Die Jahrhundertfeier des Unabhängigkeitstages", sagte Mary andächtig, legte die Hand schützend über die Augen und blickte zum Dach des Pacific House Hotels hinauf, das mit Wimpeln in den Nationalfarben geschmückt war. „Seit Jahrhunderten sehnen sich die Iren vergeblich nach Unabhängigkeit von Mutter England. Wahrhaftig ein Grund zum Feiern."
    Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn auf die Menschenmenge zu. „Was ist das für ein Gebäude dort drüben?" Sie wies mit dem Arm auf einen lang gezogenen, schmucklosen, unfertigen Bau an der Front Street, begrenzt von

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