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Leuchtfeuer Der Liebe

Leuchtfeuer Der Liebe

Titel: Leuchtfeuer Der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
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Swann von der Ärztin beim Arm genommen und weitergezogen wurde. Die Frauen wollten sie offenbar mit Jesse allein lassen, und Mary dankte ihnen im Stillen dafür. „Vielleicht habe ich nur noch keine wirklich gute Auster gegessen."
    „Dann sind Sie hier richtig." Der Mann in der Schürze grinste breit und hielt ihr auf seinem Gummihandschuh eine große geöffnete Muschel hin. „Etwas Köstlicheres haben Sie nie zuvor probiert."
    Mary betrachtete misstrauisch das bleiche, zuckende Austernfleisch, das in der Sonne glänzte.
    Jesse schob sie nach vorne. „Probieren Sie. Sie haben sich so sehr darauf gefreut."
    Das hatte sie nun von ihrer vorlauten Art. Nie konnte sie den Mund halten. Mit zwei spitzen Fingern nahm sie die dicke Schale und hob sie an die Lippen. Alle Leute in der Nähe schlürften Austern. Sie verdrängte den Gedanken, dass die Auster noch lebte und nicht ahnte, dass sie im nächsten Moment verschlungen werden sollte.
    Mary schloss die Augen und verzog das Gesicht, als das schleimige Muschelfleisch durch ihre Kehle rutschte. Es schmeckte nach Meer und roch ein wenig nach Moschus, was sie an etwas erinnerte, woran sie lieber nicht denken wollte. Sie warf die leere Schale zu dem anwachsenden Haufen Austernschalen auf der Erde.
    „Köstlich", rief sie mit belegter Stimme. „Vielen Dank." Sie klammerte sich an Jesses Arm und eilte weiter. „Dürfte ich ein Glas Limonade haben? Jetzt gleich?"
    Er lachte. Sie vergaß ihren Ekel und lachte gleichfalls. Jesse schien sich ein wenig zu entspannen und nickte Leuten im Vorbeigehen zu. Viele kannten ihn vom Sehen, er aber hatte meist keine Ahnung, wer sie waren.
    Uber einer breiten, mit glühenden Kohlen gefüllten Grube wurde ein ganzer Ochse am Spieß gebraten. Der Feuerstelle entströmte große Hitze, um die sie einen weiten Bogen machten. Mary kam aus dem Staunen nicht heraus. „Ich komme mir vor wie in einem Märchen", sagte sie und hakte sich bei Jesse unter.
    „Tatsächlich?"
    „Es ist ein Traum - die weiß gekleideten Damen, die Musik, die Kinder im Sonntagsstaat, die Flotte draußen im Hafen. Alles ist so wunderschön. Sie können sich glücklich schätzen, hier zu leben unter all diesen netten Menschen."
    „Mag sein", meinte er widerstrebend. Er schien milder gestimmt als sonst, weniger streitlustig.
    „Irland ist auch sehr schön", fuhr sie fort, „aber wir wohnten weit außerhalb des Ortes, und die Dorfbewohner hatten keinen Grund, Feste zu feiern. Irland hat sich bis heute nicht aus dem Joch der Engländer befreit." Sie zog die würzigen Essensdüfte ein, den Geruch nach Meer und nach Menschen.
    Ein lautes Hackgeräusch erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie eilte voraus, dem Geräusch entgegen. Seitlich neben dem Gerichtsgebäude war ein rechteckiger Platz mit Seilen eingegrenzt. Auf einem flachen Felsbrocken in der Mitte stellten Männer dicke Holzklötze auf und spalteten sie.
    „Wollen Sie der jungen Dame zeigen, wie stark Sie sind?" rief ein Mann in Hemdsärmeln und Strohhut. „Ein Wettbewerb im Holzhacken", erklärte sie Jesse über die Schulter.
    „Was Sie nicht sagen."
    „Ach, Jesse." Sie lachte.
    „Ein Penny für drei Versuche", schrie der Mann. „Der Hauptgewinn ist eine patriotische Adlerbrosche für Ihre Gattin."
    Ein Frösteln lief Mary über den Rücken. Unvermutet drang die kalte Wirklichkeit in ihre Traumwelt. Ihre Gattin. Sie wagte einen flüchtigen Blick in Jesses Richtung, der mit undurchdringlicher Miene über die Absperrung stieg und die Axt aus einem Holzklotz zog.
    Der Marktschreier freute sich. „Drei Versuche, ein Penny."
    „Ich brauche keine drei Versuche." Jesse warf dem Mann eine Münze zu, zog seinen Gehrock aus, reichte ihn Mary, krempelte die Ärmel seines weißen Hemdes hoch und entblößte kraftvolle, sonnengebräunte Unterarme. Dann stellte er sich breitbeinig vor den Holzklotz, den der Mann auf den flachen Stein gestellt hatte. Neugierige traten an die Absperrung, und Mary hörte halblaute Stimmen: „Wer ist der Mann?" „Der Leuchtturmaufseher von Cape Disappointment." „Der hat mehr Schiffbrüchige gerettet als jeder andere an der Küste." „Er soll ein komischer Kauz sein ..."
    Mary entfernte sich von den murmelnden Stimmen. Sollten sie ruhig reden. Jesse war kein komischer Kauz. Die Leute hatten nur zwölf Jahre geglaubt, er wolle allein sein. Und sie war die Einzige, die spürte, wie furchtbar er darunter litt. Sie war die Einzige, die glaubte, ihn heilen zu können.
    Was ihr allerdings

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