Leuchtfeuer Der Liebe
vier Holztürmen, von denen die Fahnen wehten.
„Das alte Fort. Es wurde vor Jahren während der Indianerkriege von den Bewohnern erbaut." Jesse lächelte kurz. „Die Siwash hielten das Fort immer für einen Witz, da es hier in der Gegend niemals kriegerische Auseinandersetzungen gegeben hat. Indianer und Weiße kommen seit jeher gut miteinander aus. Auch die Siedler lachten darüber und stellten den Bau irgendwann ein. Bis heute fehlt das Dach."
In der Menschenmenge entdeckte Mary vereinzelte Männer und Frauen des Siwash-Stammes, die sich in ihrer lohfarbenen Lederkleidung und den vielen Muschelketten um den Hals exotisch in der Menge der weißen Siedler ausnahmen. Die Männer standen Pfeife rauchend in kleinen Gruppen beieinander, die Frauen schlenderten an den Jahrmarktsbuden vorbei und begutachteten das Warenangebot.
Jesse konnte sich kaum erinnern, wann er sich zum letzten Mal in eine größere Menschenansammlung begeben hatte.
Im Zentrum von Oysterville erhob sich auf einem grünen Rasenplatz das weiß getünchte Gerichtsgebäude mit seinem Kuppeldach, in dem der Ehrenwerte Richter Hiram Palmer residierte, ein Mann, der dafür bekannt war, demjenigen Recht zuzusprechen, der den höchsten Preis bezahlte.
Auf dem Podium hinter einem Tanzboden begann eine Musikkapelle zu spielen, begleitet von Händeklatschen und Zurufen der Umstehenden. Die rotweißblauen Fähnchen auf dem Dach der Rotunde schienen im Takt zur Musik zu wehen.
Der Platz war von langen Tischen auf Holzböcken begrenzt, die sich unter der Last der angebotenen Speisen bogen. Austern waren zu hohen Pyramiden aufgeschichtet, daneben lockten gebratene Hühner, rot und blau glasierte Obstkuchen sowie Fässer mit Bier und Limonade.
Es hatte eine Zeit in Jesses Leben gegeben, in der ihm Menschenansammlungen so selbstverständlich gewesen waren wie die Luft zum Atmen. In den besten Schulen des Landes war ihm gesellschaftlicher Schliff anerzogen worden. Er hatte ungezwungen mit den höchsten Würdenträgern in Portland geplaudert, mit reichen Unternehmern in San Francisco Verhandlungen geführt. Der Besuch von festlichen Soireen und Opernabenden war ihm so vertraut gewesen wie heute sein einsames Leben im Leuchtturm auf Cape Disappointment. Sein Großvater hatte ein Geschäftsimperium gegründet, sein Vater hatte mit dem Geschick eines Königs Midas den Reichtum des Unternehmens vermehrt.
Und Jesse war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hatte seinerseits einen bewundernswerten Geschäftssinn bewiesen.
Und eines Tages war alles vorbei.
Nichts hatte mehr Bedeutung. Nichts. Nicht einmal, ob er den nächsten Atemzug machte.
Doch nun zerrte Mary ihn mutwillig in eine Welt zurück, der er vor vielen Jahren entflohen war. Hier waren zwar nicht die Spitzen der Gesellschaft von Portland versammelt, um Geschäftsabschlüsse im großen Stil zu tätigen und hochtrabende Pläne für die Zukunft des Landes zu diskutieren. Wohlhabende Sommergäste mischten sich unter die Festbesucher, aber der Großteil waren ortsansässige Bürger.
Mary zog ihn unerbittlich über den belebten Festplatz. „Es ist nur ein Musikpodium, nicht der Galgen."
Sein finsterer Blick streifte sie. „Was?"
„Sie sehen aus wie ein zum Tode Verurteilter auf dem Weg zum Galgen."
„Ich bin eben kein angenehmer Gesellschafter."
Sie lachte nur und zog ihn weiter. Jesse dachte daran, dass Schiffbrüchige, die er aus der kochenden Brandung zerrte, sich in ähnlicher Weise wehrten - doch hinterher war ihm jeder immer dankbar.
Er hoffte, in der Menge der fröhlichen Festbesucher unerkannt zu bleiben, Mary aber hatte eindeutig andere Absichten.
Bevor er sie davon abhalten konnte, hatte sie den Arm gehoben und winkte heftig. „Hallo!" rief sie. „Juhu, Mrs. Swann! Hier sind wir!"
Dutzende Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Jesse fühlte sich den neugierigen Blicken ausgesetzt, nackt und bloß wie ein gerupftes Huhn. Dies war die Hölle, die Hölle auf Erden.
14. KAPITEL
V or den goldenen Himmelspforten wäre Mary vermutlich nicht aufgeregter und begeisterter gewesen als in diesem Augenblick. Alles war für sie neu und voller Wunder. Dies war die zweite Chance, die sie sich erhofft, um die sie Gott angefleht hatte. Die Erklärung dafür, warum sie als Einzige den Schiffsuntergang überlebt hatte. Die Stadt lag vor ihr wie ein frisch gepflügtes Feld. Hier war ihr Neubeginn, hier konnte neues Leben gedeihen.
Und niemals würde ein Mensch je erfahren, dass sie einmal
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