Leute, das Leben ist wild
Koma saufen, ja! Koma-Saufen nennt man das jetzt wohl. Neulich stand gerade wieder in der Zeitung, dass eine 13-Jährige von einem Spaziergänger leblos im Vorgarten aufgefunden wurde. Lag da, bewusstlos, mit 3,8 Promille im Blut.«
Diese neunmalschlauen Leute beugen sich zu mir runter
und fragen mit echt alarmiertem Gesichtsausdruck: »Wie viel hat sie denn getrunken?«
Ich gucke sie komisch an. »Nichts?!«
Und dann dämmert mir, dass die Leute natürlich beim Blick in unseren Einkaufswagen eins und eins zusammengezählt haben. Langsam wacht Alina auf und gibt so einen merkwürdigen klagenden Laut von sich, als würde sie direkt aus der Hölle auftauchen. Sie schlägt die Augen auf und starrt uns aus dunklen Augen vorwurfsvoll an.
Die Leute lächeln und sagen: »Ach, da ist sie ja wieder!«
Ich helfe ihr, vorsichtig aufzustehen. »Geht’s?« Sie ist ziemlich schlapp auf den Beinen. Vermutlich könnte sie jetzt gut einen Schnaps vertragen. Alina schnieft vor sich hin, ein älterer Herr reicht ihr total freundlich ein Taschentuch.
»Danke!« Sie nimmt es, ohne aufzublicken, und wischt sich damit über die feuchten Augen. Der Kassenbetrieb kann auch wieder aufgenommen werden. Ich, für meinen Teil, kann erneut nicht fassen, dass das mein Leben sein soll. Ich sage doch: Jeder Tag eine Sensation. Alinas Lippen sind ganz trocken, sie kann kaum sprechen, als sie mir zumurmelt: »Irgendwie ist mir gerade alles zu viel geworden.«
Ich nicke, das kann ich gut verstehen. Tröstend streiche ich ihr über den Rücken, mir geht es ja nicht anders. Wir bezahlen schnell unsere Flaschen und die Kräcker, wobei wir total Glück haben, dass die Kassiererin unter Schock steht und wir nicht nach unseren Ausweisen gefragt werden. Die haben wir nämlich zu Hause vergessen. Dann packen wir alles in den Rucksack und diesen Stoffbeutel, den mir Mama vorsorglich mitgegeben hat, damit wir
keine Plastiktüte kaufen müssen, und ziehen los, Richtung nach Hause.
Alina sagt gar nichts mehr, wie auch? Ihr Telefon klingelt ja schon wieder. Sie schluckt und hält es mir hin: »Ich kann nicht mehr!«
Also nehme ich ritterlich ab, während mir der schwere Rucksack auf den Schultern lastet, und frage: »Hallo?« - bereit, diesem Albert mal höflich zu stecken, dass er nicht alle paar Minuten anzurufen braucht. Das nervt echt. Der entwickelt ja regelrecht Stalkerqualitäten. Vielleicht sollte ich ihm mal ein paar Tipps geben, wie man verhindert, anderen Leuten auf den Senkel zu gehen. Immer schön cool bleiben, ist meine Devise. Unter uns: Ich frage mich ja, wie sicher solche Bühnenaufbauten tatsächlich sind, wenn da solche emotional belegten Roadies am Werk sind. Ich meine, vermutlich werden die sich kaum richtig konzentrieren, während sie die wichtigen Schrauben anziehen. Hinterher lockern sich die Schrauben während des Konzertes wieder, dass die Hebebühne zusammenkracht oder Scheinwerfer runterkommen und Teile des Publikums erschlagen. So was hört man ja durchaus.
Alina sieht mich mit ihren riesigen Augen an. »Wer ist das?«
Und am anderen Ende der Leitung brüllt eine mir fremde Mädchenstimme ins Telefon: »Ist da Alina?«
Bevor ich überhaupt irgendwas antworten kann, brüllt die Stimme einfach weiter: »Hier ist Sarah, falls dir das was sagt? Zufällig bin ich die Freundin von Albert, und solltest du dich nicht ganz schnell vom Acker machen, blüht dir was. Ich sage dir, ich bin übelst auf hundertachtzig, und ich schwöre dir, ich kratz dir die Augen aus, alles klar? Alles klar? He! Ich hab gefragt, ob alles klar ist?«
Ich hab’s gehört. Ich weiß allerdings nicht, was man auf so eine bescheuerte Frage antwortet. Wenn ich »Ja« sage, dann heißt das womöglich, dass ich - im Namen von Alina - die Finger von ihrem Albert lasse und mich, wie sie es fordert, »vom Acker mache«. Allerdings weiß ich nicht, ob das überhaupt in Alinas Sinne ist. Wobei ich ihr dringend raten würde, die Finger von diesem Albert zu lassen. Der ist komplett manisch. Dennoch kann es ja sein, dass Alina irgendwie so heiß auf ihn ist, dass sie es kaum abwarten kann, ihn morgen endlich wiederzusehen. Wenn dem so ist, wäre die Frage zu klären, ob sie bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, den diese Trine gerade androht. Ich sage also: »Moment mal bitte!« Damit die Hysterische nichts mitbekommt, drücke ich das Handy fest an meine Brust und erkläre Alina: »Da ist diese durchgeknallte Freundin von Albert dran. Sie droht, dir die Augen
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