Leute, das Leben ist wild
meinem Bücherregal stehen und besieht sich total interessiert die Buchrücken. Offenbar bedrückt sie schon wieder irgendwas so dermaßen, dass ihre Sorge den ganzen Raum erfüllt.
Mama lächelt und seufzt. »Na, dann mach ich mal das Frühstück.«
In T-Shirt und Unterhose schlüpfe ich quer über den Flur ins Gästebadezimmer. Alina folgt mir und quetscht sich mit zu mir rein. Normalerweise dusche ich echt lieber alleine, weil ich ein gespaltenes Verhältnis zu meinem Körper habe. Aber da Alina so am Ende zu sein scheint, darf sie ausnahmsweise mit ins Bad. Verstohlen ziehe ich mich aus und stelle mich schnell unter die Dusche. Alina hockt sich derweil auf den runtergeklappten Toilettendeckel und lässt ihre knochigen Schultern hängen. Ich drehe das Wasser voll auf und seife mich ordentlich mit Vanille-Duschgel ein, sodass die durchsichtigen Wände von der Duschkabine von dem heißen Wasserdampf beschlagen.
Durch den Nebel beobachte ich, wie Alina wieder von ihrem Platz aufsteht und am angekippten Fenster eine Zigarette anzündet und rausraucht. Ich will ja nichts sagen, aber wenn Papa das mitkriegt, gibt’s ordentlich Ärger. Dann fällt mir aber ein, dass das auch egal ist. Damit muss Alina klarkommen. Die ist alt genug.
Als sich meine Haut vor Hitze beinahe vom Körper ablöst, steige ich wieder aus der Dusche und grabsche mir schnell mein Handtuch. Beim Abtrocknen achte ich darauf, dass Alina ja nichts von meinem Körper zu sehen bekommt. Der ist echt ein einziges Problemfeld. Wenn ich könnte, würde ich einiges daran ändern: größere Brüste, dünnere Oberschenkel, flacheren Bauch. Das einzig wirklich Schöne an mir sind meine Füße. Aber sein wir ehrlich: Ich könnte mich zu Tode hungern und würde noch immer eine Stelle an mir finden, die mir zu speckig ist. Ich muss lernen, meinen Körper zu akzeptieren. Ich arbeite dran. Mein Trick ist einfach: nicht in den Spiegel gucken. Mama meint: »Wenn du dich liebst, liebst du auch deinen Körper.« Kann schon sein. Ich creme mich mit umgewickeltem Handtuch ein und ziehe mich flott an. Dann putze ich mir noch schnell die Zähne und mit meinen Haaren kann ich sowieso nichts machen. Da sind so viele Locken drin, die sehen immer gleich aus.
Alina und ich gehen wieder raus, in den Flur, rüber Richtung Wohnzimmer, und Alina sagt plötzlich mit tiefer Stimme: »Nur, dass du es weißt: Ich bringe mich um.«
»Was?«
»Ich bringe mich um.«
Okay, Leute. Jetzt mal eine Frage: Nimmt man so eine Aussage ernst? Oder übergeht man die? Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich meine, Alina hat das schon so oft gesagt,
langsam nutzt sich diese Behauptung echt ab. Auf der anderen Seite weiß ich ja aus Erfahrung, wozu junge, deprimierte Menschen fähig sind. Also lege ich ihr beruhigend den Arm um die Schulter und sage: »So ein Quatsch! Heute Abend ist Party!«
Und dann schiebe ich sie vor mir her ins Wohnzimmer, wo meine Eltern bereits neben dem Gabentisch stehen und eine dicke Kerze brennt. Papa ist frisch rasiert und hat sich seine nassen Haare mondän nach hinten gekämmt. »Guten Morgen, Lelle.«
»Morgen!« Wieder hebe ich meine Hand zum Gruß. Ich merke, das mache ich ziemlich oft, wie aufgezogen. Also gebe ich Papa noch ein Küsschen auf die glatte Wange. In letzter Zeit riecht er irgendwie anders. Er meint, er hätte sich spontan ein neues Aftershave gekauft. Nach zwanzig Jahren? Mama zieht nur die Augenbrauen hoch. Sie sieht echt frisch und jugendlich aus. Das muss ich sagen. Papa sollte sich wirklich mal ein bisschen mehr ins Zeug legen. Eine hübschere, klügere und sportlichere Frau wird er nämlich nicht finden. So viel mal dazu. Vielleicht sollte ich ihm das mal stecken. Nach zwei Jahrzehnten Ehe verliert man möglicherweise auch mal die Antennen für so was. Kann ja sein.
Ich lasse meinen Blick über den Gabentisch schweifen, so, wie man das als Geburtstagskind nun mal macht, in der Hoffnung, ordentlich Geschenke einzusacken. Nur leider muss ich irritiert realisieren, dass auf dem Tisch kein einziges Geschenk liegt. Nur zwei Taschenbücher und ein Briefumschlag. Ich nicke Papa noch mal zu, der mir jetzt einen Kuss zurück auf die Wange gibt und meint: »Alles Gute zum Geburtstag und dass all deine Wünsche in Erfüllung gehen mögen.«
»Danke.«
Tja, dann fällt der Geschenkeregen wohl dieses Jahr etwas sparsamer aus. Warum auch immer. Ich werde mir nichts anmerken lassen. Gerade will ich gespielt interessiert nach einem der Taschenbücher greifen,
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