Level 6 - Unsterbliche Liebe
plötzlich sah ich, was er wirklich war. Zuvor war ich zu geschockt gewesen, um zu bemerken, dass dieser Kerl überhaupt nicht menschlich wirkte. Er war zu blank, zu glatt, zu makellos. In seinen Augen spiegelte sich keine Persönlichkeit wider. Seine Stimme hatte einen ganz leicht metallischen Klang, der mich an den Computercountdown in meinem Kopf erinnerte.
„Rogan Ellis, der lieber an Countdown teilnimmt und sein Leben aufs Spiel setzt, als ins Gefängnis zu gehen. Hattest du Angst davor? Hattest du Albträume, was dir dort möglicherweise widerfahren könnte? In meiner Datenbank steht, dass die Narbe in deinem Gesicht von einer Auseinandersetzung mit deinen zwei Zellengenossen in St. Augustine’s stammt. Sie wollten dich umbringen. Stattdessen hast du einen von ihnen mit bloßen Händen ermordet. Du bist ein Killer.“
„Du hast recht“, presste Rogan hervor, ehe er einen flüchtigen Blick zu mir warf. „Ich bin ein Killer. Zweifellos. Und ich würde diesen Mistkerl noch einmal töten, wenn ich die Gelegenheit dazu bekäme.“
„Notwehr“, flüsterte ich, und meine Kehle war wie zugeschnürt. „Das ist etwas anderes.“
„Für mich fühlt es sich nicht anders an.“
„ Für dieses Level von Countdown verbleiben noch zwei Minuten. “
„Weißt du was, Roboter?“, fragte Rogan ohne eine Spur von Gefühl in seiner Stimme. „Ich habe noch immer zwei Minuten, um dich in einen Haufen Blech zu verwandeln. Du kannst uns erst töten, wenn die Zeit für das Level abgelaufen ist, habe ich recht? Also haben wir noch immer Zeit.“
Der Roboter nickte entschieden. „Das ist wahr. Ich kann euch noch nicht umbringen.“
Er zielte mit der Pistole ein bisschen tiefer und drückte den Abzug.
Ich fiel zu Boden, schrie und umklammerte mein Bein an der Stelle, wo die Kugel in meinen rechten Oberschenkel gedrungen war.
„Kira!“, brüllte Rogan.
„Allerdings“, fuhr der Roboter fort, „kann ich die Abonnenten ein bisschen unterhalten, während wir darauf warten, dass die Zeit für das Level abläuft.“ Er lud wieder durch. „Rogan Ellis, ich hätte geglaubt, dass es dir gefallen würde, dass sichnoch ein junges Mädchen vor ihrem unvermeidlichen Tod vor Schmerzen zu deinen Füßen auf dem Boden windet. Warum siehst du so unglücklich aus?“
Ich konnte ihn kaum hören. Mein Bein schien in Flammen zu stehen, so sehr brannte es. Es kostete mich all meine Kraft, gegen den Schmerz anzukämpfen. Einen Moment lang wurde vor meinen Augen alles weiß. Ich konnte nichts hören außer dem Countdown – inzwischen wurde die letzte Minute angesagt.
Eine Minute, bis ich keinen Schmerz mehr spüren würde.
„ Neunundfünfzig … achtundfünfzig … siebenundfünfzig … “
Rogan stürzte sich auf Bernard, packte ihn bei den Armen und warf ihn zu Boden. Die Pistole schlitterte über den Bürgersteig und blieb eine Armeslänge von mir entfernt liegen.
„Arschloch!“, zischte Rogan, während er mit der Faust auf das Gesicht des Roboters einschlug. Verschwommen sah ich etwas Metallisches unter der künstlichen Haut aufblitzen.
Mit einem unmenschlichen Schrei wirbelte Bernard Rogan herum, sodass der auf dem Rücken lag. Beinahe mühelos hielt er ihn auf die Erde gedrückt. Sein eiserner Griff schloss sich um Rogans Hals.
„Keine Angst, Rogan“, meinte der Roboter mit gespenstisch ruhiger Stimme. „Es wird bald vorbei sein. Du bist gescheitert. Du hast Kira Jordan enttäuscht und du hast dich selbst enttäuscht.“
„ Dreißig … neunundzwanzig … achtundzwanzig … “
Ich streckte den Arm aus und schloss meine Finger um die Waffe. Dann rappelte ich mich auf, taumelte auf die beiden zu und tat mein Bestes, um das stechende Brennen in meinem Bein zu ignorieren. Die Übelkeit hätte mich beinahe wieder zu Boden gezwungen. Doch obwohl ich unsicher schwankte, gelang es mir irgendwie, mich aufrecht zu halten. Bernard, der Rogan noch immer auf die harte Erde presste, schaute zu mir hoch. Ich konnte den Roboter unter der künstlichen Haut erkennen. Nichts als farbige Kabel und glattes Silber – wie die Kameras, die durch die Gegend flogen und die Szene aus jedem erdenklichen Blickwinkel festhielten. Seine Haut musste aus Plastik sein. Nur Plastik.
Es war alles ein großer Schwindel, nicht echt.
Ich war bereit gewesen, mein Leben zu geben, weil ich jemanden schützen wollte, der nicht einmal existierte.
„ Zehn … neun … acht … “
Ich hob die Waffe, zielte und feuerte dann, bis das Magazin leer war.
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