Level 6 - Unsterbliche Liebe
Gott sei Dank sind Sie es nur.“
Rogan berührte seine Schulter und drehte ihn zu uns um.
Ich keuchte unwillkürlich auf. Jonathan sah furchtbar aus. Sein Gesicht war weiß wie Schnee und feucht vor Schweiß. Die Haut um seine linkes Auge war dunkelrot. Sogar das Weiß im Auge war blutunterlaufen. Die rechte Hand hielt er an seine Brust gepresst und stützte sich mit der anderen auf der Anrichte ab.
„Was ist mit Ihnen passiert?“, stieß Rogan hervor.
Jonathan schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Zeit für Erklärungen. Ich habe gehört, dass der Shuttle früher kommen wird, und musste es euch sagen. Ihr müsst jetzt los … Euch bleiben nur wenige Minuten, wenn ihr den Zug erreichen wollt. Gareth und die anderen … Sie wissen … Sie … Sie sind auf den Weg, um euch zu …“
„Was? Sie haben von diesem Haus erfahren? Haben Sie es ihnen verraten?“
„Sie haben herausgefunden, dass ich euch … Dass ich euch geholfen habe. Sie hatten den Verdacht, seit ich dir das Gegenmittel gespritzt habe. Sie glauben, dass ich an einer Flucht beteiligt war.“
Er sackte zusammen und setzte sich unbeholfen auf den Boden.
„Was haben die Ihnen angetan?“ Mein Puls raste. „Wie können wir Ihnen helfen?“
„Passt auf euch auf.“
Mit einem Mal wurde seine Miene starr und sein Blick schweifte in die Ferne. Seine Hand fiel zur Seite und plötzlich war eine große, blutige Wunde in seiner Brust zu erkennen. Sie sah aus wie die Verletzung, die Rogan zu Beginn des Spiels gehabt hatte – die Wunde, die ihm mit einem Messer beigebracht worden war, das in Gift getaucht worden war.
Rogan kniete sich neben ihn hin und presste zwei Finger an seinen Hals. Grimmig blickte er mich an. „Er ist tot.“
Entsetzt starrte ich ihn an. „Er kann nicht tot sein!“
„Sie haben ihn getötet, Kira. Und sie sind unterwegs, um mit uns dasselbe zu machen.“ Er beugte sich vor und schloss Jonathans Augen zu. Dann stand er auf. „Wir müssen sofort verschwinden.“
Ich wollte es nicht glauben, doch es stimmte. Jonathan war tot. Der einzige Mensch, dem wir genug bedeutet hatten, um uns zu helfen … Und sie hatten ihn ermordet, weil er uns geholfen hatte.
Rogans Hand schloss sich um meinen Oberarm, und er zerrte mich unsanft hinter sich her aus der Küche. Von der Eingangstür her war bereits lautes Klopfen zu hören. Jemand, nein, eigentlich eine ganze Gruppe fremder Leute versuchte, ins Haus zu gelangen. Sie gehörten mit Sicherheit zu Countdown. Sie wollten mich und Rogan erwischen, uns zurückbringen oder töten oder quälen oder …“
„Kira, komm“, drängte Rogan. Ich schüttelte den Kopf, um wieder so klar denken zu können, dass ich zumindest funktionierte und einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Wir schlüpften zur Hintertür hinaus, da konnte ich auch schon das Splittern des Hauses der vorderen Tür hören. Hinter dem geheimen Unterschlupf war ein Hof, der von einem niedrigen Zaun umgeben war. Keine hundert Meter hinter dem Zaun verliefen die Schienen.
Ein Zug hielt gerade an.
„Das ist der Shuttle.“ Rogans Stimme klang angespannt. „Wir werden ihn verpassen.“
„Sicher? Vielleicht halten hier ja öfter Züge.“
„Vielleicht. Aber dieser hier trägt das Symbol.“
Er hatte recht. Ich erkannte das Zeichen wieder. Auf den ersten Blick hätte die Bahn nicht anders ausgesehen als jeder beliebige Zug, wenn ich nicht auf das Symbol mit dem Maiglöckchen hingewiesen worden wäre.
Als wir die Bahn erreichten, schlug mein Herz so schnell, dass ich das schmerzhafte Pochen meines Knöchels kaum noch bemerkte. Ein weißhaariger Mann stand an der Seite des Shuttles und streckte mir die Hand entgegen. „Hast du ein Ticket?“
„Ja!“ Ich zeigte ihm die Fahrkarte, die Jonathan mir gegeben hatte. Er betrachtete zuerst das Ticket und dann mich. Falls er irgendetwas Merkwürdiges oder Verdächtiges gesehen hatte, so zeigte er es nicht. Vielleicht war es ihm aber auch einfach egal. Vielleicht erlebte er viele Menschen, die in Panik waren, bevor sie einstiegen. Eigentlich war ich mir da sicher. Denn das hier war nicht irgendein Zug – es war das Versprechen in ein besseres Leben.
Nein. Es war das Versprechen eines Lebens. Punkt. In der Stadt gab es keine solchen Versprechen.
„Willkommen an Bord“, meinte er und nickte mir zu.
Ich stieg in den Zug ein und wandte mich um, um nach Rogan zu sehen.
„Fahrkarte?“, fragte der Mann Rogan.
Rogan schaute zurück zum Haus.
„Rogan!“ Ich versuchte,
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