Leviathan - Die geheime Mission
gewesen. Er hatte vermutlich nicht besser als das einfache Volk in Lienz verstanden, welche Politik sein Leben bestimmte.
Trotzdem hatte er sein Leben verloren.
Alek fühlte sich, als wäre er in zwei Menschen aufgespalten, so wie in den Stunden, wenn er allein Wache hielt. Er verdrängte die Verzweiflung in ihr Versteck in seinem Kopf, blinzelte den Schweiß aus den Augen und suchte das Ufer nach den wertvollen Kerosinkanistern ab. Währenddessen hoffte er, dass Bauer nach den Reitern Ausschau hielt und die Kanone nachgeladen hatte.
15. KAPITEL
Gleich nach den morgendlichen Höhenübungen saßen die Kadetten beim Frühstück und unterhielten sich über Signalflaggen, den Dienstplan und darüber, wann der Krieg wohl wirklich ausbrechen würde.
Deryn hatte Eier und Kartoffeln bereits verschlungen und beschäftigte sich damit, aufzuzeichnen, wie sich die Röhrengänge für die Boteneidechsen an den Wänden und Fenstern der Leviathan entlangzogen. Die Tiere steckten dauernd den Kopf heraus, wenn sie auf Nachrichten warteten, wie Füchse vor ihrem Bau.
Plötzlich rief Kadett Tyndall, der verträumt aus dem Fenster geschaut hatte: »Schauen Sie sich mal das an!«
Die anderen Kadetten sprangen auf und rannten zur Backbordseite der Messe. In der Ferne über dem Flickenteppich von Äckern und Dörfern kam London in Sicht. Aufgeregt zeigten sie sich gegenseitig die Gepanzerten, die entlang der Themse angelegt hatten, das Gewirr der zusammenlaufenden Eisenbahnlinien und die elefantinen Zugtiere, die die Straßen zur Hauptstadt verstopften.
Deryn blieb auf ihrem Platz und ergriff die Gelegenheit, sich ein paar Kartoffeln von Kadett Fitzroy zu stibit
zen. »Haben diese Pickelgesichter denn noch nie London gesehen?«, fragte sie kauend.
»Gelangweilt von einem altbekannten Ausblick.«
»Nicht aus dieser Höhe«, meinte Newkirk. »Der Service lässt die großen Schiffe nicht über Städte fliegen.«
»Wir wollen die Affen-Ludditen doch nicht erschrecken, nicht wahr?«, meinte Tyndall und schlug Newkirk auf die Schulter.
Newkirk ging darauf nicht ein. »Hey, ist das nicht St. Paul’s?«
»Schon gesehen«, meinte Deryn und klaute sich ein Stück von Tyndalls Speck. »Ich bin mal mit einem Huxley über diese Stadtteile geflogen. Das war eine interessante Geschichte.«
»Ach, hören Sie auf, Mr Sharp!«, sagte Fitzroy. »Die Geschichte kommt uns schon zu den Ohren raus.«
Deryn schnippte ein Stück Kartoffel gegen Fitzroys Dorsalbereich. Der Junge tat immer so, als schwebe er in höheren Sphären, nur weil sein Vater Kapitän in der Ozeanmarine war.
Als er den Treffer spürte, drehte sich Fitzroy um und starrte sie böse an. »Wir waren es schließlich, die Sie gerettet haben, schon vergessen?«
»Was, Sie Dussel?«, fragte sie. »Ich kann mich gar nicht erinnern, Sie an der Winde gesehen zu haben, Mr Fitzroy.«
»Vielleicht nicht.« Er lächelte und wandte sich wieder der Aussicht zu. »Aber wir haben zugeschaut, wie Sie an diesen Fenstern vorbeigeflogen sind und an dem Huxley geschaukelt haben wie ein Baby.«
Die anderen Kadetten lachten und Deryn sprang von ihrem Stuhl auf. »Ich denke, das wollen Sie bestimmt noch einmal neu formulieren, Mr Fitzroy.«
Er wandte sich ab und schaute gelassen aus dem Fenster. »Und ich glaube, Sie sollten langsam einmal lernen, diejenigen zu respektieren, die Ihnen überlegen sind, Mr Sharp.«
»Überlegen?« Deryn ballte die Fäuste. »Wer würde schon einen Pennbruder wie Sie respektieren?«
»Gentlemen!«, ließ sich Mr Rigby vom Gang her vernehmen. »Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit.«
Deryn nahm zusammen mit den anderen Haltung an, starrte jedoch unverwandt Fitzroy an. Er war stärker als sie, doch in den winzigen Kabinen mit jeweils zwei Kojen, die sich die Kadetten teilten, gab es hundert Möglichkeiten, sich zu rächen.
Kapitän Hobbes und Dr. Busk betraten hinter Mr Rigby die Messe und Deryns Zorn verrauchte. Es kam nicht häufig vor, dass sich der oberste Herr und der Obereierkopf des Schiffes an die Kadetten wandten.
»Rühren Sie sich, Gentlemen«, sagte der Kapitän und lächelte. »Ich bringe nicht die Nachricht vom Kriegsausbruch. Heute jedenfalls nicht.«
Einige der Kadetten wirkten enttäuscht, andere doch eher erleichtert. Vor einer Woche hatte Österreich-Ungarn den Serben den Krieg erklärt und geschworen, den ermordeten Erzherzog mit einer Invasion zu rächen. Wenige Tage später hatte sich Deutschland mit Russland
angelegt, und als Nächstes würde
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