Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
Gausskanonen. Verdammt, das ist ein Nahkampf«, sagte Alex ehrfürchtig.
In der Geschichte der Koalition war noch nie ein Raumschiff in einen Nahkampf verwickelt worden. Genau dies geschah nun. Das Schiff feuerte die mächtigen Kanonen ab, was bedeutete, dass die Ziele nahe genug für die Waffen ohne automatisches Leitsystem waren. Hunderte oder gar nur Dutzende von Kilometern, keine Tausende. Irgendwie hatten die Schiffe aus dem Gürtel das Torpedo-Sperrfeuer der Donnager überstanden.
»Ist sonst noch jemand der Meinung, dass die ganze Sache höchst komisch aussieht?«, fragte Amos. Es klang ein wenig panisch.
Die Donnager dröhnte wie ein Gong, der immer und immer wieder von einem mächtigen Hammer angeschlagen wurde. Gegenfeuer.
Der Schuss aus der Gausskanone, der Shed tötete, kam völlig lautlos. Wie durch Zauberhand erschienen in den gegenüberliegenden Wänden des Raumes zwei vollkommen runde Löcher. Die Bahn verlief durch Sheds Liege. In einem Moment war der Sanitäter noch da, im nächsten war sein Kopf vom Adamsapfel aufwärts verschwunden. Aus der Schlagader spritzte das Blut in einer roten Wolke heraus, strömte zu zwei dünnen Linien zusammen und verschwand mit der entweichenden Luft durch die beiden Löcher in den Wänden.
12 Miller
Miller arbeitete seit dreißig Jahren für die Sicherheitsdienste. Gewalt und Tod waren altbekannte Begleiter. Männer, Frauen. Tiere. Kinder. Einmal hatte er die Hand einer Frau gehalten, während sie verblutet war. Er hatte zwei Menschen getötet und konnte sie immer noch sterben sehen, wenn er die Augen schloss und daran dachte. Hätte jemand ihn gefragt, dann hätte er gesagt, dass es nicht viel gab, was ihn zu erschüttern vermochte.
Der Ausbruch eines Krieges war selbst für ihn etwas Neues.
In der Distinguished Hyacinth Lounge herrschte wie üblich zum Schichtwechsel reger Betrieb. Männer und Frauen in den Uniformen der Wachdienste – die meisten gehörten zu Star Helix, doch es waren auch kleinere Firmen darunter – nahmen entweder den Feierabendtrunk zu sich, um herunterzukommen, oder bedienten sich am Frühstücksbuffet mit Kaffee, Formpilzen in süßer Soße und Imitaten, die Fleisch im Verhältnis eins zu tausend enthielten. Miller kaute an einem Würstchen und betrachtete das Wanddisplay, aus dem gerade ein Firmensprecher von Star Helix herausschaute. Er strahlte große Ruhe und Zuversicht aus, während er erklärte, dass die ganze Welt vor die Hunde ging.
»Die ersten Scans zeigen, dass die Explosion die Folge eines fehlgeschlagenen Versuchs war, ein nukleargetriebenes Gerät mit der Andockstation zu verbinden. Vertreter der marsianischen Regierung bezeichnen den Vorfall lediglich als ›angeblichen terroristischen Anschlag‹ und weigern sich, die laufenden Ermittlungen zu kommentieren.«
»Schon wieder«, sagte Havelock hinter ihm. »Irgendwann wird es eines dieser Arschlöcher mal richtig anpacken.«
Miller drehte sich herum und nickte in die Richtung des Stuhls neben ihm. Havelock setzte sich.
»Das wird ein interessanter Tag«, antwortete Miller. »Ich wollte dich gerade anrufen.«
»Ja, tut mir leid«, sagte sein Partner. »Bin spät aufgestanden.«
»Hast du schon etwas von deiner Versetzung gehört?«
»Nein«, erwiderte Havelock. »Wahrscheinlich verstauben meine Papiere auf irgendeinem Schreibtisch in Olympus. Was ist mit dir? Gibt es etwas Neues über dein Geheimprojekt mit diesem Mädchen?«
»Noch nicht«, sagte Miller. »Hör mal, ich wollte mich hier mit dir treffen, ehe wir anfangen, weil … ich brauche zwei Tage, um im Zusammenhang mit Julie ein paar Hinweisen nachzugehen. Da hier aber so viel anderer Mist im Gange ist, will Shaddid mich darauf beschränken, ein bisschen herumzutelefonieren.«
»Aber das ignorierst du.« Havelock hatte es nicht als Frage formuliert.
»Ich habe da so ein ungutes Gefühl.«
»Wie kann ich dir helfen?«
»Du musst mich decken.«
»Wie soll ich das machen?«, fragte Havelock. »Ich kann ihnen ja schlecht erzählen, du seist krank. Die haben Zugriff auf alle medizinischen Unterlagen, auch auf deine.«
»Sag ihnen, ich hätte in der letzten Zeit zu viel getrunken. Candace sei vorbeigekommen. Sie ist meine Exfrau.«
Havelock kaute mit gerunzelter Stirn an seiner Wurst. Der Erder schüttelte langsam den Kopf – es war keine Ablehnung, sondern das Vorspiel zu einer Frage. Miller wartete.
»Du willst also deiner Vorgesetzten einreden, du kämst deiner Arbeit nicht nach, weil du dein
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