Lewis, CS - Narnia 1
glaub’, ich werd’verrückt«, stammelte der Kutscher. »Wenn ich gewußt hätt’, daß es so was gibt, wär’ich ein viel besserer Mensch gewesen.«
Die Stimme, die von der Erde her erschallte, war jetzt laut und triumphierend, die Stimmen am Himmel verklangen. Und jetzt geschah noch etwas.
Weit in der Ferne färbte sich am Horizont die Himmelsschwärze grau. Ein sanfter, überaus frischer Wind kam auf. Ganz allmählich wurde es immer heller. Nun konnte man schon die Umrisse der Berge sehen, die sich dunkel vom Horizont abhoben. Und immer noch sang die Stimme.
Bald war es so hell, daß man wieder Gesichter erkennen konnte. Der Kutscher und die beiden Kinder standen mit offenem Mund, ihre Augen leuchteten. Sie sogen den Klang auf, und sie sahen aus, als riefe er eine Erinnerung in ihnen wach. Auch Onkel Andrew sperrte den Mund auf, doch nicht weil er froh war wie sie. Bei ihm wirkte es eher so, als sei ihm das Kinn heruntergefallen. Er ließ die Schultern hängen, seine Knie zitterten. Ihm gefiel die Stimme überhaupt nicht. Am liebsten wäre er in ein Mauseloch gekrochen, um dem Gesang zu entkommen. Die Hexe schien die Stimme besser zu verstehen als alle anderen. Ihre Lippen waren zusammengepreßt, ihre Fäuste geballt. Schon als das Lied begann, hatte sie gespürt, daß ein Zauber über dieser Weit ruhte. Ein Zauber, anders und mächtiger als der ihre, und deshalb haßte sie dieses Lied.
Gern hätte sie diese oder alle Welten vernichtet, sofern nur dieser Gesang aufhörte. Das Pferd hatte die zuckenden Ohren weit nach vorn gelegt, von Zeit zu Zeit schnaubte es und stampfte mit dem Huf. Jetzt sah es nicht mehr wie ein müder alter Droschkengaul aus. Jetzt mochte man gern glauben, daß es von einem Schlachtroß abstammte.
Im Osten verfärbte sich der bleiche Himmel erst rosa, dann golden. Die Stimme schallte immer mächtiger, bis die ganze Luft erbebte. Und dann, als sie so kraftvoll und so mächtig anschwoll wie nie zuvor, da ging die Sonne auf.
So eine Sonne hatte Digory noch nie gesehen. Die Sonne über den Ruinen von Charn hatte älter gewirkt als die unsrige: Diese hier sah jünger aus. Fast hätte man meinen können, sie lache vor Freude, als sie höherstieg. Und als sie mit ihren Strahlen das Land erhellte, da sahen die Reisenden zum ersten Mal ihre Umgebung. Sie standen in einem Tal, durchzogen von einem breiten, rasch fließenden Fluß, der Richtung Osten verlief, auf die Sonne zu. Im Süden ragten Berge auf, im Norden niedrige Hügel. Doch kein Baum, kein Busch, kein Grashalm war zu sehen, nur nackte Erde, Gestein und Wasser. Die Erde erstrahlte in frischen, warmen Farben, bei deren Anblick die Reisenden Erregung faßte. Doch dann sahen sie den Sänger selbst und vergaßen alles andere.
Es war ein Löwe. Riesig, zottig und leuchtend stand er etwa dreihundert Meter von den Reisenden entfernt und blickte zur aufgehenden Sonne. Er sang mit weit offenem Maul.
»Das ist eine schreckliche Welt«, sagte die Hexe. »Wir müssen fliehen. Sofort. Bereitet den Zauber vor.«
»Ich stimme Ihnen zu, werte Dame«, sagte Onkel Andrew. »Ein höchst unangenehmer Ort. Völlig unzivilisiert. Wäre ich nur jünger und hätte ein Gewehr…«
»Unsinn!« meinte der Kutscher. »Sie glauben doch wohl nicht, daß Sie den da erschießen können, oder?«
»Wer würde das denn wollen?« fragte Polly.
»Bereite den Zauber vor, alter Narr!« befahl Jadis.
»Gewiß, werte Dame«, sagte Onkel Andrew verschlagen. »Die beiden Kinder müssen mich berühren. Steck sofort den Ring an, Digory, der uns nach Hause bringt!« Er plante, die Hexe hier zurückzulassen.
»So? Ringe sind es also?« rief Jadis. Sie hätte bestimmt sofort in Digorys Tasche gegriffen, aber der packte Polly am Arm und schrie: »Seht euch vor! Wenn es einer von euch wagen sollte, auch nur einen Schritt näher zu kommen, dann verschwinden wir alle beide und lassen euch für immer hier zurück. Ja. Ich habe einen Ring in der Tasche, der mich und Polly nach Hause bringen kann. Seht! Ich brauche ihn nur anzufassen. Also bleibt uns vom Hals. Um Sie, Herr Kutscher, und um das Pferd täte es mir ja wirklich leid, aber ich habe keine andere Wahl. Und was euch beide betrifft«–er schaute zu seinem Onkel und zur Königin hinüber–, »ihr seid ja alle beide Zauberer, also müßtet ihr doch Freude daran haben, hier miteinander zu leben.«
»Haltet den Mund alle miteinander!« sagte der Kutscher. »Ich will mir die Musik anhören.«
Denn nun hatte sich das Lied
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