Lewis, Michael
bestimmten Risikoberechnung vor, dem sogenannten Value-at-Risk (VaR) oder Wert im Risiko.
Dieses Risikomaß, das Wall-Street-Manager weithin nutzten, um abzuschätzen,
welche Risiken ihre Händler gerade eingegangen waren, erfasste nur das Ausmaß
der Schwankungen, die eine bestimmte Aktie oder Anleihe in der Vergangenheit
erfahren hatte, wobei es Veränderungen in der jüngeren Vergangenheit stärker
berücksichtigte als solche, die weiter zurücklagen. Da AAA-CDOs, die mit
Subprime-Hypothekenanleihen besichert waren, keine starken Wertschwankungen
erlebt hatten, galten sie in Morgan Stanleys internen Berichten als praktisch
risikolos. Im März 2007 stellten Hublers Mitarbeiter eine Präsentation zusammen,
die seine Vorgesetzten dem Vorstand von Morgan Stanley vorlegten. Darin
brüsteten sie sich mit der »großartigen strukturellen Position« im
Subprime-Hypothekenmarkt. Niemand stellte die Frage, die auf der Hand lag: Wie
würde diese großartige strukturelle Position sich entwickeln, wenn mehr
Subprime-Kreditnehmer als erwartet zahlungsunfähig würden?
Howie
Hubler ging ein hohes Risiko ein, über das er niemanden informierte, dessen
Höhe ihm aber vielleicht selbst nicht klar war. Er hatte in beträchtlichem
Umfang auf nahezu dieselben CDO-Tranchen gesetzt, gegen die Cornwall Capital
spekuliert hatte und die aus annähernd denselben Subprime-Anleihen bestanden,
gegen die Front-Point Partners und Scion Capital spekuliert hatten. Mehr als 20
Jahre lang hatte die Komplexität des Rentenmarktes dem Wall-Street-Bond händler geholfen,
Wall-Street-Kunden hinters Licht zu führen. Nun verleitete sie ihn zur
Selbsttäuschung.
Die
entscheidende Frage lautete, wie eng die Preise verschiedener
Subprime-Hypothekenanleihen in einer CDO miteinander verknüpft waren. Die möglichen
Antworten rangierten von 0 Prozent (ihre Preise hatten nichts miteinander zu
tun) bis 100 Prozent (ihre Preise waren fest aneinandergekoppelt). Moody's und
Standard & Poor's gingen bei den Anleihenpools mit BBB-Rating von einer
Korrelation von etwa 30 Prozent aus. Das bedeutete jedoch keineswegs, wie man
vielleicht meinen könnte, dass beim Ausfall einer Anleihe eine 30-prozentige
Chance bestünde, dass auch die anderen ausfielen. Vielmehr bedeutete es, dass
beim Ausfall einer Anleihe die anderen nur einen geringen Wertverfall erleiden
würden. Moody's und S&P hatten jede CDO zu etwa 80 Prozent mit dem Rating
AAA versehen, weil sie von der Annahme ausgingen, die zugrunde liegenden
Kredite seien im Grunde nicht alle gleichartig und daher nicht von massenhaften
Ausfällen bedroht, sobald die Immobilienpreise nicht mehr steigen sollten.
(Damit hatten sie das gesamte CDO-Geschäft erst ermöglicht.) Mit der gleichen
Annahme rechtfertigte Howie Hubler seinen Entschluss, CDOs im Wert von 16
Milliarden US-Dollar zu kaufen. Morgan Stanley hatte sich ebenso wie jedes andere
Wall-Street-Unternehmen bemüht, die Ratingagenturen zu überzeugen, dass sie
Privatkundenkredite ebenso behandeln sollten wie Unternehmenskredite - nämlich
als Aktiva, deren Risiken sich durch Bündelung drastisch reduzieren ließen. Die
Leute, die diese Überzeugungsarbeit geleistet hatten, sahen darin einen
Verkaufserfolg: Ihnen war klar, dass zwischen Unternehmens- und
Privatkundenkrediten ein Unterschied bestand, den die Ratingagenturen nicht
erfasst hatten. Dieser Unterschied lag darin, dass es auf dem Markt für
minderwertige Hypothekenanleihen nur wenige historische Erfahrungen gab, mit
denen es sich arbeiten ließ, und gar keine historischen Erfahrungen mit dem
Kollaps eines nationalen Immobilienmarktes. Morgan Stanleys Spitzenkräfte
unter den Rentenhändlern machten sich darüber nicht lange Gedanken. Howie
Hubler vertraute den Ratings.
Die
Wall-Street-Bondhändler, mit denen Howie Hubler telefonierte, hatten den
Eindruck, dass er diese Spekulationen für völlig risikolos hielt. Er verlangte
einen winzigen Zinssatz für praktisch nichts. Mit dieser Überzeugung stand er
selbstverständlich nicht allein da. Hubler und ein Händler bei Merill Lynch
verhandelten hin und her über den möglichen Aufkauf von AAA-CDOs von Merrill
Lynch über 2 Milliarden US-Dollar durch Morgan Stanley. Hubler verlangte von
Merrill Lynch 28 Basispunkte (0,28 Prozent) über dem risikofreien Zinssatz,
aber Merrill Lynch wollte nur 24 Basispunkte zahlen. Bei einem Geschäft über 2
Milliarden US-Dollar — das letztlich einen Verlust von 2 Milliarden US-Dollar von Merrill Lynch
auf Morgan Stanley
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