Lewis, Michael
Nach meiner Einschätzung und der von
Wall-Street-Händlern ist Hublers Darstell ung weitaus weniger plausibel. »Auf
gar keinen Fall hat er gesagt:>Ich muss jetzt aussteigen<, und sie hat
Nein gesagt«, erklärte ein Händler zeitnah. »Auf keinen Fall hat Howie jemals
gesagt: >Wenn wir jetzt nicht aussteigen, könnten wir 10 Milliarden
US-Dollar verlieren<. Howie hat ihr Gründe geliefert, nicht auszusteigen.«
Das Geschick von Wall-Street-Händlern, Erfolge für sich zu verbuchen und für
Misserfolge ihr Management verantwortlich zu machen, spiegelte sich später bei
ihren Firmen wider, die in guten Zeiten die Notwendigkeit staatlicher
Regulierung verächtlich ablehnten, in schlechten Zeiten aber darauf bestanden,
dass der Staat sie rettete. Erfolg war eine individuelle Leistung, Scheitern
ein gesellschaftliches Problem.
Im
Mai 2007 kam es jedoch zu wachsenden Unstimmigkeiten zwischen Howie und Morgan
Stanley. Erstaunlicherweise hatten sie aber nichts mit der Frage zu tun, ob es
klug sei, 16 Milliarden US-Dollar in komplexen Wertpapieren zu besitzen, deren
Wert letztlich davon abhing, ob eine Stripperin in Las Vegas mit fünf
Eigentumswohnungen oder ein mexikanischer Erdbeerpflücker mit einem 750 000
US-Dollar teuren Eigenheim die rasch steigenden Kreditzinsen aufbringen
konnten. Vielmehr ging es bei den Auseinandersetzungen um Morgan Stanleys
Versprechen, Howies Eigenhandelsgruppe in eine eigene
Finanzdienstleistungsfirma zu überführen, die zu 50 Prozent ihm gehören sollte
- eine Zusage, die man bislang nicht erfüllt hatte. Howie Hubler war erbost
über Morgans Stanleys Hinhaltetaktik und drohte mit Kündigung. Um ihn zu
besänftigen, versprach Morgan Stanley ihm und seinen Mitarbeitern einen noch
größeren Anteil an den GPCG-Gewinnen. Im Jahr 2006 hatte das Unternehmen Hubler
25 Millionen US-Dollar gezahlt, für 2007 ging man davon aus, dass er weitaus
mehr verdienen würde.
Einen
Monat, nachdem Hubler und seine Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber bessere
Konditionen ausgehandelt hatten, stellte Morgan Stanley schließlich die
unbequeme Frage: Was würde mit ihren beträchtlichen Spekulationen auf den
Subprime-Hypothekenmarkt passieren, wenn mehr Amerikaner der unteren
Mittelschicht als erwartet ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen
könnten? Welche Wertentwicklung wäre für diese Anlagen zu erwarten, wenn man
beispielsweise die angenommenen Ausfallquoten der pessimistischsten
Wall-Street-Analysten zugrunde legte? Bisher hatte man Hublers Spekulationen
anhand von »Stresstest-Szenarien« überprüft, die bei den Subprime-Pools von 6
Prozent Kreditausfällen, also den höchsten Ausfallraten der jüngeren
Vergangenheit, ausgingen. Jetzt sollten Hublers Mitarbeiter prüfen, welche
Entwicklung ihre Spekulationen nehmen würden, falls die Ausfälle 10 Prozent
erreichten. Die Aufforderung kam unmittelbar von Morgan Stanleys leitendem
Risikomanager Tom Daula. Hubler und seine Mitarbeiter reagierten wütend und
erschrocken. »Es war schon mehr als ein bisschen seltsam«, erklärte einer von
ihnen. »Es herrschte eine Menge Angst deswegen. Die Meinung dazu war: Diese
Leute wissen ja nicht, worüber sie reden. Wenn die Ausfälle auf 10 Prozent
steigen, gibt es eine Million Obdachlose.« (Die Ausfälle in den Kreditpools,
auf die Hublers Gruppe spekuliert hatte, beliefen sich letztlich auf 40 Prozent.)
Ein leitender Angestellter, der außerhalb von Hublers Gruppe bei Morgan Stanley
arbeitete, erklärte: »Sie wollten die Ergebnisse keinem zeigen. Immer wieder
sagten sie: Dieser
Zustand der Welt kann nicht eintreten.«
Zehn
Tage brauchten Hublers Mitarbeiter, bis sie das Ergebnis erarbeitet hatten,
das sie wirklich niemandem zeigen wollten: Bei Ausfällen von 10 Prozent würden
ihre komplexen Spekulationen auf Subprime-Hypothekenkredite statt eines
erwarteten Gewinns von 1 Milliarde US-Dollar voraussichtliche Verluste von 2,7
Milliarden US-Dollar bringen. »Als die Risikomanager vom Stresstest kamen,
sahen sie ziemlich bestürzt aus«, erzählte ein leitender Angestellter von
Morgan Stanley. Hubler und seine Mitarbeiter versuchten, sie zu beruhigen.
Immer mit der Ruhe, erklärten sie, solche Ausfälle werden niemals eintreten.
Den
Risikomanagern fiel es jedoch schwer, die Fassung zu bewahren. Sie hatten den
Eindruck, dass Hubler und seine Mitarbeiter ihr eigenes Spiel nicht wirklich
verstanden. Immer wieder erklärte Hubler, er spekuliere gegen den
Subprime-Anleihenmarkt. Aber wenn das der Fall war,
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