Lewis, Michael
einem
stetigen Wandel unterzogen, der oft von Zufällen abhing.
Ereignisgesteuerte
Anlagestrategien: Entweder hatten sie diesen Begriff für das, was sie taten,
selbst geprägt oder irgendwo geklaut, mehr Möglichkeiten gab es nicht. Aber wie
auch immer, diese trockene Bezeichnung war irreführend, denn sie ließ deutlich
weniger Spaß vermuten, als die beiden in der Realität daran hatten. Eines Tages
faszinierte Charlie der Gedanke an Termingeschäfte auf dem Ethanolmarkt. Er
verstand nicht viel von Ethanol, aber er hatte in Erfahrung gebracht, dass
Ethanol mit 50 US-Cent je Gallone staatlich subventioniert wurde, weshalb es
de facto schon immer 50 Cent teurer war als nicht subventioniertes Benzin.
Anfang 2005, als er sich dafür zu interessieren begann, wurde es aber mit 50
Cent Abschlag auf Benzin gehandelt. Warum sich das so verhielt, wusste er nicht
und brachte es auch nie in Erfahrung. Stattdessen kaufte er Terminkontrakte auf
zwei Waggonladungen Ethanol und sorgte damit für Schlagzeilen in dem Fachblatt Ethanol Today, einer Zeitschrift, von deren
Existenz er vordem nichts gehört hatte. Zum größten Ärger des Brokers von Cornwall
hatten sie am Ende zwei Güterwaggons mit Ethanol auf einem Lagerplatz in
Chicago herumstehen - die später mit einem Gewinn verkauft wurden, der lächerlich
erschien. »Der Verwaltungsaufwand für das, was wir taten, war viel zu hoch,
wenn man sich überlegt, in welcher Klasse wir spielten«, erläuterte Charlie.
»Firmen unserer Größenordnung engagierten sich normalerweise nicht in so
vielen verschiedenen Anlagekategorien.«
»Wir
haben genau das getan, was üblicherweise zu Wutanfällen unter den Investoren
führt«, meinte Jamie. »Uns hat nur deshalb kein Investor angebrüllt, weil wir
ja keinen einzigen hatten.«
Die
beiden spielten tatsächlich mit dem Gedanken, ihren Gewinn einem zugelassenen,
qualifizierten, grundsoliden Investmentprofi mit weißer Weste anzuvertrauen,
damit dieser ihn kräftig vermehre. Auf der Suche nach einer vertrauenswürdigen
Person durchstreiften sie New York und befragten wochenlang einen Hedgefondsmanager
nach dem anderen. »Sie alle hörten sich toll an«, meinte Jamie, »aber wenn man
einen Blick auf ihre Zahlen warf, verblasste dieser Eindruck ziemlich
schnell.« Deshalb beschlossen sie, ihr eigenes Geld weiterhin selbst zu
investieren. Zwei Jahre nach Firmengründung hatten sie ein Vermögen von 12
Millionen US-Dollar angehäuft und ihren Wohnort und Geschäftssitz von Berkeley
nach Manhattan verlagert. Sie residierten nunmehr ein Stockwerk unter dem
Studio des namhaften Künstlers Julian Schnabel in Greenwich Village.
Außerdem
hatten sie ein neues Konto bei Bear Stearns eröffnet und das alte bei Schwab
gekündigt. Sie wollten unbedingt eine Bezie hung zu einem der namhaften
Händler der Wall Street knüpfen, und diesen Wunsch äußerten sie auch ihrem Steuerberater
gegenüber. »Er erzählte daraufhin, dass er Ace Greenberg kennen und gerne den
Kontakt herstellen würde. Eine super Sache«, erzählte Charlie. Die
Wall-Street-Legende Greenberg war einst Unternehmenschef und CEO von Bear
Stearns gewesen und unterhielt noch immer ein eigenes Büro in deren
Geschäftsräumen, weil er für eine erlesene Schar von Investoren noch immer als
Broker fungierte. Nachdem Cornwall Capital sein Kapital zu Bear Stearns
transferiert hatte, prangte auf ihren Maklerabrechnungen - wen wundert's? -
ganz oben der Name Ace Greenberg.
Ihre
erste Begegnung mit einem großen Fisch der Wall Street war wie alles andere,
was ihnen so auf den Finanzmärkten widerfuhr, letztlich auf Zufall oder Glück
zurückzuführen. Eine vernünftige Erklärung gab es dafür einfach nicht. Einfach
so, ohne dass sie das in irgendeiner Weise geplant hätten, waren die beiden mit
einem Mal Kunden von Ace Greenberg. »Wir konnten es selbst nicht fassen. Ace
Greenberg war unser Broker. Wie kam das denn zustande?«, fragte sich Charlie.
»Ich meine, unsere Firma war ein Nichts, ein Niemand. Und wir kannten Ace
Greenberg ja gar nicht.« Das Mysterium wurde sogar noch größer, als sie
versuchten, mit Greenberg zu sprechen. Sie gingen davon aus, dass sie seine
Telefonnummer bekommen hätten, doch immer, wenn sie dort anriefen, meldete sich
jemand anderer. »Es war schon seltsam. Es kam nämlich ab und zu vor, dass Ace
Greenberg höchstpersönlich den Hörer abnahm, doch das Einzige, was er je sagte
war: >Bleiben Sie dran.<« Anschließend wurde man mit einem Assistenten
verbunden,
Weitere Kostenlose Bücher