Lewis, Michael
Kauf solcher Optionen sichert sich der Käufer das Recht, Aktien über
einen bestimmten Zeitraum zu einem Festpreis zu erwerben. Wie Greenblatt
erläuterte, ist es mitunter sinnvoller, Aktienoptionen zu erwerben, als die
Aktien selbst.
In
Greenblatts Welt des wertorientierten Investierens wurde diese Empfehlung als
Ketzerei angesehen. Konservative werteorientierte Anleger mieden Optionen wie
der Teufel das Weihwasser, da diese darauf beruhten, dass man den zeitlichen
Ablauf der Kursbewegungen unterbewerteter Aktien vorwegnahm. In Greenblatts
Augen gab es jedoch ein simples Argument dafür: Wenn feststeht, dass der Aktienkurs
an einem im Vorfeld bekannten Stichtag (wie zum Beispiel dem Tag einer Fusion
oder dem Tag, an dem ein Gerichtsprozess stattfindet) Schwankungen ausgesetzt
ist, spricht nichts dagegen, wenn der werteorientierte Investor seinen
Standpunkt anhand von Optionen verdeutlicht. Und damit schlug die Geburtsstunde
von Jamies neuer Geschäftsidee: Er wollte langfristige Optionen auf
Capital-One-Aktien erwerben. »Im Prinzip war das so etwas wie: Toll, da ergibt
sich ja eine Möglichkeit für uns, diese Aktien sind nicht uninteressant. Aber,
ach du Schreck, schau dir mal die Preise für diese Optionen an!«
Das
Recht, Aktien von Capital One in den kommenden zweieinhalb Jahren zum
Festpreis für 40 US-Dollar kaufen zu können, schlug mit etwas mehr als 3
US-Dollar zu Buche. Das ergab doch keinen Sinn. Capital Ones Schwierigkeiten
mit den Regulierungsbehörden würden sich in den kommenden sechs Monaten in Luft
auflösen - oder auch nicht. Wenn doch, würde der Aktienkurs entweder auf null
fallen oder auf 60 US-Dollar steigen. Jamie vertiefte sich noch weiter in diese
Sache und fand heraus, dass das an der Wall Street verwendete Modell zur
Preisgestaltung von LEAPs, das sogenannte Black-Scholes-Modell (ein
finanzmathematisches Modell zur Bewertung von Finanzoptionen), von seltsamen
Voraussetzungen ausging, zum Beispiel von einer glockenförmigen Normalverteilung
für die künftigen Aktienkurse. Notierte der Kurs für Capital-One-Aktien bei 30
US-Dollar je Stück, ging das Black-Scholes-Modell davon aus, dass ein
Aktienpreis von 35 US-Dollar in den kommenden zwei Jahren wahrscheinlicher war
als ein Kurs von 40 US-Dollar, gleichwohl war ein Aktienkurs von 40 US-Dollar
wahrscheinlicher als einer von 45 US-Dollar und so weiter. Diese Logik
erschloss sich aber nur denjenigen, die nichts über das Unternehmen wussten,
denn dabei fiel folgende Annahme völlig unter den Tisch: Kursbewegungen von
Capital One, die sicher eintreten würden, erfolgten eher in großem Maßstab denn
in kleinem.
Die
Geschäftsleitung von Cornwall Capital zögerte nicht lange und erwarb 8 000
LEAPs. Ihr möglicher Verlust beschränkte sich auf 26000 US-Dollar, die sie für
die Option bezahlt hatten, die Aktien zu einem Festpreis zu erwerben. Ihr
potenzieller Gewinn kannte rein theoretisch keine Grenzen nach oben. Kurze Zeit
nach dem Kauf der Aktienoptionen wurde der Konflikt zwischen Capital One und
den Regulierungsbehörden beigelegt, und der Aktienkurs schoss raketengleich in
die Höhe, was dazu führte, dass Cornwall Capital aus einer Investition von
26000 US-Dollar satte 526000 US-Dollar gemacht hatte. »Unsere Begeisterung
kannte keine Grenzen«, sagte Charlie.
»Wir
konnten es nicht fassen, dass man uns diese langfristigen Optionen so billig
verkauft hatte«, meinte Jamie. »Klar, dass wir mehr davon haben wollten.«
Im
Handumdrehen entwickelte sich daraus eine unglaublich profitable Strategie:
Man nehme eine offenbar günstige Option auf den Kauf oder Verkauf von
koreanischen Aktien, Schweinebäuchen oder einer exotischen Dritte-Welt-Währung
- einfach alles, bei dem sich der Preis in naher Zukunft drastisch ändern würde
- und arbeite sich dann zu dem Basiswert zurück, dessen Kauf oder Verkauf die
Option ermöglichte. Die Aktienoptionen passten perfekt zu der Persönlichkeitsstruktur
der beiden Männer: Sie brauchten nichts sicher zu wissen. Beide neigten zu dem
Eindruck, als seien sich die Anleger und Investoren, und im weiteren Sinne
auch die Märkte, zu sicher in Bezug auf an sich unsichere Dinge. Beide spürten,
dass es den Anlegern und Investoren, und im weiteren Sinne auch den Märkten,
schwerfiel, die Wahrscheinlichkeit von höchst unwahrscheinlichen Ereignissen zu
berechnen. Sowohl Jamie als auch Charlie mangelte es an Überzeugungen, doch
sie hatten kein Problem damit, auf die in ihren Augen falschen
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