Lewis, Michael
risikolosen Gewinn daran freudig ein -
nur um festzustellen, dass, wie es Jamie beschrieb, »es sich in einem Fall um
bleifreies Benzin und im anderen um Diesel gehandelt hatte«. Ein anderes Mal
ging er zwar von der richtigen Annahme aus, zog aber den falschen Schluss.
»Eines Tages rief mich Ben an und erzählte mir von einem möglichen Putsch in
Thailand.« In der Zeitung war jedoch keine Rede davon gewesen. Wenn das
stimmte, wäre es ein echter Knüller. Ich meinte zu ihm: »Ach Ben, du spinnst
doch. Niemals kommt es dort zu einem Putsch. Woher willst du das eigentlich wissen?
Schließlich sitzt du hier in Berkeley!« Ben schwor Bein und Stein, dass er mit
einem ehemaligen Kollegen aus Singapur gesprochen hätte, und der sei über die
Sache mit Thailand auf dem Laufenden. Er ließ einfach nicht locker, was
schließlich beide bewog, sich auf dem thailändischen Währungsmarkt umzusehen
und dreimonatige Verkaufsoptionen auf die Landeswährung, den Thailändischen
Baht, zu einem in ihren Augen wahren Schnäppchenpreis zu erstehen. Eine Woche
später stürzte das Militär in Thailand den gewählten Premierminister. Doch der
Baht rührte sich keinen Millimeter. »Wir haben den Putsch in Thailand korrekt
vorhergesagt und trotzdem Geld verloren«, erzählte Jamie.
Ihre
Verluste waren - ganz bewusst - kein Drama. Sie waren einkalkuliert. Es geschah
viel öfter, dass sie verloren als gewannen, doch ihre Verluste - die
Anschaffungskosten für die Optionen - waren im Vergleich zu ihren Gewinnen
geradezu lächerlich. Intuitiv ahnten Charlie und Jamie den möglichen Grund
ihres Erfolges, aber es war Ben - der für die Preisgestaltung von Optionen bei
einer großen Wall-Street-Firma zuständig gewesen war -, der das Ganze auf den
Punkt brachte: Finanzoptionen waren systematisch unterbewertet. Es war gang und
gäbe, dass der Markt die Wahrscheinlichkeit extremer Preisschwankungen
unterschätzte. Außerdem ging der Optionsmarkt in der Regel davon aus, dass die
nahe Zukunft zu einem wesentlich höheren Grad der Gegenwart entsprechen würde,
als dies dann tatsächlich der Fall war. Und zu guter Letzt war der Preis einer
Option eine Abbildung der Schwankungsanfälligkeit der zugrunde liegenden
Aktien, Währungen oder Rohstoffe. Der Optionsmarkt neigte dazu, sich auf die
Ergebnisse der jüngsten Vergangenheit zu verlassen, um die Volatilität von
Aktien, Währungen oder Rohstoffen zu ermitteln. Als die IBM-Aktie um 34
US-Dollar pro Stück notierte und der Kurs im ganzen Jahr davor wie verrückt mal
gestiegen, mal gefallen war, war eine Option auf den baldigen Kauf dieser Aktie
für 35 US-Dollar kaum je unterbewertet. Als der Goldpreis in den vergangenen
zwei Jahren bei rund 650 US-Dollar je Unze notierte, hätte sich eine
zehnjährige Kaufoption zum Preis von 2 000 US-Dollar je Unze als absolut unterbewertet
erweisen können. Je langfristiger die Option, umso absurder wurden die Ergebnisse,
die anhand des Black-Scholes-Preismodells festgelegt wurden, und umso größer
die Erfolgschancen für alle, die dieses Modell links liegen ließen.
Erstaunlicherweise
war es Ben, also derjenige von den Dreien, auf den die Bezeichnung
»konventionell« am wenigsten passte, der die Idee hatte, Cornwall Capital als
eine Art Potemkinsches Dorf aufzuziehen, sodass Außenstehende das Unternehmen
für einen konventionellen institutionellen Investor hielten. Er wusste sehr
wohl, was in den Büros der Wall Street ablief und inwieweit Charlie und Jamie
dafür abgestraft wurden, dass sie von den großen Fischen der Wall Street nicht
als ernst zu nehmende Investoren oder, wie Ben sich auszudrücken beliebte, als
»Hedgefonds-Garagenband« wahrgenommen wurden.
Die
längsten Optionen, die an der Börse gehandelt wurden, waren LEAPs - Optionen
auf Stammaktien mit einer Laufzeit von zweieinhalb Jahren. Wisst ihr, meinte Ben zu Charlie und
Jamie, wenn
ihr euch erst mal einen Namen als institutioneller Investor gemacht habt, könnt
ihr einfach bei Lehman Brothers oder Morgan Stanley anrufen und achtjährige
Optionen auf was auch immer kaufen. Na, wäre das nichts für euch? Aber sicher doch! Sie wollten
nichts mehr, als endlich zu der Quelle vordringen, aus der die in ihren Augen
am stärksten unterbewerteten Optionen stammten: zu den hochkarätigen,
quantitativen Handelssälen von Goldman Sachs, Deutsche Bank, Bear Stearns und
wie sie alle hießen.
Sie
nannten das den Jagdschein. Und dieser Jagdschein hatte sogar einen Namen:
ISDA-Vertrag. Dabei handelte es
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