Lewyn - Die Halbelbin: Reise durch Garnadkan (German Edition)
ihm erstaunt entgegen.
„Gebt auf Euch acht. Euer Tod würde mich sehr betrüben.“ Dann tat er etwas Unglaubliches. Er nahm den Kopf der schönen Kriegerin in seine Hände und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Sie war völlig überrascht und dabei nicht fähig, etwas zu tun oder zu sagen. Schließlich löste sich Wesrhar von ihr und lächelte mit hochrotem Kopf. „Verzeiht. Aber Ihr seid mir so unendlich lieb geworden.“ Danach machte er schnell kehrt, nur um an seiner grinsenden Schwester vorüberzueilen.
„Sollte Euch der Weg nochmals nach Agerass leiten, wären wir sehr glücklich. Bitte meidet die Stadt nun nicht. Mein Bruder ist kein Mann großer Worte. Er lässt lieber Taten sprechen, auch wenn die nicht ganz angebracht sind.“ Sie schmunzelte noch immer und deutete mit zwei Fingern auf die Lippen. „Bitte, nehmt es ihm nicht übel. Die Verzweiflung trieb ihn dazu. Er ahnt, dass er Euch nicht wieder sehen wird. Das macht ihn sehr traurig.“ Nun wandte sich auch Oriama zum Gehen.
„Ich hatte keine Ahnung! Sollte ich ihm Hoffnung gemacht haben, so möge er mir verzeihen. Euer Bruder ist ein weiser Mann, der sein Herz auf dem rechten Fleck trägt. Er wird eine Frau finden, die ihn liebt, wie er es verdient. Sie werden vier Kinder haben.“ Die Erbin der Macht zwinkerte der jungen Frau zu, klopfte dem Freund auf die Schulter und war dann schnell verschwunden.
„Sie hat unser Schicksal gesehen, sie konnte in unsere Zukunft blicken? Was weiß sie noch alles?“, fragte Oriama verblüfft.
„Sie erzählte es nicht. Doch manchmal erfüllt sich das Schicksal nur, wenn man nicht von ihm weiß.“ Lächelnd verließ Soh’Hmil ebenfalls die Stadt, die am Fels emporwuchs. Von zwei Wachen wurden er und die Vertriebene auf dem Weg zurückgeleitet, auf dem sie Agerass vor einigen Tagen betreten hatten. Oben auf dem Fels angekommen, verabschiedeten sich die Gefährten auch von ihren Führern. Unten, vor dem Tor, konnten sie Wesrhar erkennen. Sie grüßten einander zum letzten Mal.
Schnell saßen sie auf den Pferden, die nach den Tagen der Ruhe wieder bei Kräften waren. Rasch waren die Reiter den Blicken der Zurückbleibenden entschwunden. Doch schon nach kurzem Ritt hielt die Dreiundzwanzigjährige wieder an. Unruhig ließ sie ihren Schimmel umhertänzeln. Unentwegt wandte sie den Kopf von einer zur anderen Seite. Sie suchte etwas.
„Was ist? Erwarten uns die Feinde bereits hier?“ Der Freund versuchte ebenfalls, die Dunkelheit, die in dieser Nacht abermals keine Sterne sehen ließ, zu durchdringen. Doch konnte er ebenso wenig entdecken, wie die Kriegerin.
„Ich weiß es nicht. Doch jemand nähert sich. Ich fühle, dass wir beobachtet werden.“ Dann legte sich ein leichtes Lächeln um ihren Mund. Dieses Gefühl kannte sie bereits, sehr gut sogar. Es hatte die einstige Thronerbin Let’wedens begleitet, seit sie aus Leranoth verbannt wurde. Erst seit der Taseres war es verschwunden. Mit der Rechten wies sie nach einiger Zeit schließlich in Richtung zweier alter Bäume. Dort breitete sich heller Nebel aus. Cadar kam kurz darauf zwischen ihnen hervor. Von nun an ritten sie wieder mit seinem Schutz.
Flucht
„Werden wir für sie verborgen bleiben?“ Lewyn hielt ihren Blick weiter auf die rastenden Goriebs gerichtet, die sich vor ihnen befanden. Es war bereits das sechste Mal seit ihrem Aufbruch von Agerass. Die Abstände, in denen die Gefährten auf die Feinde trafen, wurden dabei immer geringer.
„Bisher haben uns meine Fähigkeiten geschützt. Wir blieben unerkannt, weil sich wohl keiner ihrer Magier bei diesen Kreaturen befand. Ich denke, wir sollten unser Glück nicht zu sehr strapazieren. Lass sie uns weiträumig umgehen.“
„Hm, du hast Recht. Schon lange trafen wir nicht mehr auf einen von ihnen. Eigentlich erwarte ich ständig, dass Whengra oder Osgh uns direkt angreifen. Kannst du ihrer Stärke widerstehen?“
„Ich fürchte, das werden wir herausfinden.“ Vorsichtig rutschten die drei Gejagten von der Anhöhe herunter, griffen die Tiere am Zügel und führten sie ein gutes Stück durch die lichtlose Dunkelheit der Nacht. Als sie außer Hörweite waren, stiegen sie auf und jagten weiter in Richtung Süden. Cadar zügelte am nächsten Nachmittag seinen Hengst und ließ den Blick prüfend in Richtung des Gebirges gleiten.
„Wartet. Reiten wir weiter auf das Shynn’talagk zu, müssen wir diesen Bergen folgen. Ihr könnt hier schon sehen, dass sie im Bogen nach Osten führen. Es
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