Lexikon der Oeko-Irrtuemer
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Die Angst, die viele Menschen in Deutschland vor den Abgasen der Müllverbrennung haben, war früher durchaus berechtigt. MVAs waren tatsächlich Dreckschleudern. Bis in die achtziger Jahre hinein mußten sie mit wenig effektiven Elektrofiltern (Entstaubern) auskommen. Der Rauch aus den Schloten enthielt Schwermetalle, Salzsäure und hochgiftige Dioxine. Doch dies hat sich durch die Anwendung moderner Technik gründlich gewandelt. Experten bezeichnen MVAs heute als »Schadstoffsenken«, weil sie weitaus weniger Gifte ausstoßen, als im Abfall enthalten sind. Von 10 Gramm Dioxin im Brennstoff gelangen weniger als 0,1 Gramm wieder zurück in die Umwelt. 4 Dennoch verstiegen sich saarländische MVA-Gegner 1992 zu der Behauptung, der damalige Umweltminister Jo Leinen und Ministerpräsident Oskar Lafontaine planten via Müllverbrennung einen »Holocaust an der Saar«. 5
Auch die großen Umweltverbände lehnen Müllverbrennung nach wie vor kategorisch ab, und das, obwohl die meisten MVAs heute aus dem Abfall Wärme und Energie gewinnen und so zum Ressourcensparen beitragen. Eine hochentwickelte Müllverbrennungsanlage kann 20 000 Wohnungen mit Fernwärme versorgen oder bis zu 30 Megawatt Strom produzieren. 6 Umweltgruppen wie der BUND favorisieren statt dessen die mechanisch-biologische Abfallbehandlung: Ein Verfahren, bei dem der nicht verwertbare Restmüll zerkleinert, verrottet, vergoren und getrocknet wird. Dabei schrumpft die Menge etwa um die Hälfte.
Es entsteht jedoch der typische Kompostgestank. Bürger im bayerischen Brunnthal klagten vor Gericht gegen eine solche Anlage. Ende der neunziger Jahre existierten 14 Test- und Pilotbetriebe dieser Art. 7
Aber warum werden MVAs überhaupt noch gebraucht, wo doch die Deutschen ihren Müll vorbildlich trennen, damit er recycelt werden kann? Trotz der schnellen Erfolge der Getrenntsammlung ist der Restmüll, der keiner Verwertung zugeführt wird, immer noch der größte Brocken in der Abfallbilanz. 70 Prozent dieses Restmülls geht auf Deponien und 30 Prozent in die Verbrennung. 8 Doch Deponieraum ist im dichtbesiedelten Deutschland rar und teuer. Viele der 470 Deponien sind veraltet. Immer wieder werden ältere Müllkippen undicht und verschmutzen mit dem Sickerwasser das Grundwasser.
Bis Müllvermeidung obligatorisch und das Recycling perfekt ist, werden also Techniken benötigt, die Abfall reduzieren und womöglich nutzbar machen. Ohne diese Techniken bliebe mittelfristig nur eine Alternative, die ökologisch und politisch reichlich fragwürdig ist: der Müllexport in andere Länder.
1 Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer e.V., Broschüre »Restmüllverbrennung und Kreislaufwirtschaft«, Juni 1995. 2 Natur Nr. 12/1992. 3 ebd. 4 Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer e.V., Broschüre »Restmüllverbrennung und Kreislaufwirtschaft«, Juni 1995. 5 Natur Nr. 12/1992. 6 H. Hug, Der tägliche ÖkoHorror, 1997. 7 Stern Nr. 48/1997. 8 Behördenspiegel, Juni 1997.
»Immer mehr Plastik vermüllt unsere Umwelt«
Die Plastikverpackungen in den Läden sind heute viel leichter und mit geringerem Materialaufwand hergestellt als früher. Verbrauchten Haushalte und Kleingewerbe 1991 noch 934500 Tonnen Kunststoffverpackungen, so waren es 1996 nur noch 866900 Tonnen. 1 Gleichzeitig wird immer mehr Plastikabfall genutzt. 1996 lag die erreichte Verwertungsquote bei den Verkaufsverpackungen aus Kunststoff bei 68 Prozent (535000 Tonnen). 2 Die Verpackungsverordnung schreibt 64 Prozent vor. Bei den Transport- und Gewerbeverpackungen (ungefähr die gleiche Menge wie die Verkaufsverpackungen 3 ) sind - sofern es sich nicht ohnehin um Mehrwegsysteme handelt - sogar 100 Prozent Recycling vorgeschrieben.
Wie sieht es bei dem vielgeschmähten Kunststoff PVC (Polyvinylchlorid) aus? Von den zirka 250000 Tonnen PVC-Abfällen, die in den Bereichen Hausmüll, Gewerbe- und Bauabfall anfallen, wurden 1995 etwas mehr als 165 000 Tonnen recycelt. Rund 60 Unternehmen sorgten Ende der neunziger Jahre dafür, daß Fenster, Bodenbeläge, Folien, Rohre oder Dachbahnen aus PVC wiederverwertet werden. Rücknahmesysteme haben den Anteil von PVC-Altprodukten im Restmüll der Privathaushalte drastisch reduziert. 4
Außerdem sind Kunststoffe ökologisch gar nicht so übel wie ihr Ruf. Ohnehin werden nur 27,2 Prozent der in Deutschland produzierten Kunststoffe zu Verpackungen verarbeitet. Aus der weitaus größten Menge entstehen langlebige Produkte, wie etwa Haushalts- und
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