Lexikon der Oeko-Irrtuemer
eine Genehmigung. Nicht nur das Bewußtsein der Gesellschaft, auch die Einstellung vieler Wissenschaftler hat sich gewandelt. Die meisten betrachten lebende Geschöpfe sensibler und mitleidvoller als die Vivisektoren der Großvätergeneration.
Seit 30 Jahren geht die Zahl der Tierversuche in Deutschland kontinuierlich zurück. Anfangs schlug sich diese Entwicklung lediglich in den internen Statistiken der Pharmaindustrie nieder. So registrierte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie 1977 noch 4165983 Tierversuche allein in der Arzneimittelforschung. In den folgenden Jahren ging die Zahl bis auf 2444761 im Jahre 1984 zurück. 1 [Grafiken siehe unten] Seit 1989 gibt es amtliche Angaben. Damals begann das Bonner Landwirtschaftsministerium - das für Tierschutz zuständig ist -, die eingesetzten Versuchstiere statistisch zu erfassen. Deren Zahl verminderte sich danach von 2,64 Millionen (1989) in der alten Bundesrepublik auf 1,51 Millionen in Gesamtdeutschland (1996). 2
Der Rückgang der Tierversuche ist einerseits ein Erfolg der Proteste der Tierversuchsgegner, andererseits wurde er erst durch die Arbeit vieler Wissenschaftler möglich, die Alternativmethoden entwickelten. Hunderte von neuen Verfahren drängen die Tierexperimente seit zwei Jahrzehnten mehr und mehr zurück: Zell- und Bakterienkulturen, Computersimulation, isolierte Tierorgane vom Schlachthof, Operationsabfälle aus Kliniken. Die neuen Methoden sind oft sogar genauer und billiger als die alten Tierversuche. Unter dem Druck der Öffentlichkeit verhängte auch der Gesetzgeber strengere Auflagen. So müssen
Immer weniger Tierversuche
Prozentuale Aufteilung der Versuchstiere 1995
Die Zahl der eingesetzten Versuchstiere geht seit Jahren ständig zurück. Sie wurde seit 1989 um eine Million auf 1,64 Millionen (1995) verringert. Drei Viertel der Versuchstiere sind Ratten und Mäuse und nicht etwa Affen und Hunde. (Quelle: Tierschutzbericht der Bundesregierung 1997)
Versuchsvorhaben seit 1987 bei Ethikkommissionen eingereicht werden, die über die Zulassung entscheiden. Sofern sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf verbindliche alternative Testmethoden einigen können, wird vom Jahr 2003 an eine EU-Richtlinie Tierversuche für Kosmetika ganz verbieten.
Tierversuchsgegner kritisieren, daß die Statistik geschönt sei. Das stimmt zum Teil, denn tatsächlich werden manche Versuche in dem offiziellen Zahlenwerk nicht aufgeführt. Wer ein Tier tötet, um Organe zu entnehmen, muß dies nicht melden. Tierversuche im Rahmen der Studentenausbildung werden ebenfalls nicht verzeichnet. Standardisierte Verfahren, etwa die Blutentnahme zur Herstellung von Seren, zählen nicht als Versuch, und auch mehrfache Eingriffe am gleichen Tier registriert die Statistik nicht gesondert. Einige Tierrechtler sprechen von einer Dunkelziffer in Millionenhöhe. Dr. Brigitte Rusche, eine erfahrene Tierversuchsexpertin beim Deutschen Tierschutzbund, schätzt jedoch, daß die Zahl der nichtregistrierten Tests bei maximal einigen Hundertausend liegt. Daß die Grundaussage der Statistik stimmt, die Zahl der Tierversuche also seit Jahrzehnten sinkt, bezweifelt kein seriöser Tierschützer.
Auf der anderen Seite vermittelt die offizielle Statistik ein viel zu düsteres Bild. Denn die meisten Laien denken bei dem Wort »Tierversuche« an die grausamen Bilder, die auf den Plakaten in den Fußgängerzonen zu sehen sind. Versuche, die Tieren Schmerz und Leid zufügen, machen jedoch nur einen Bruchteil der Gesamtzahl aus. Hinter den weitaus meisten registrierten Tests verbergen sich Eingriffe, die nicht schmerzhafter sind als Routineuntersuchungen oder Impfungen von Haustieren beim Tierarzt.
1 Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, Tiere in der Arzneimittelforschung, 1986. 2 Bundeslandwirtschaftsministerium, Tierschutzbericht der Bundesregierung, 1997.
»Alle Tierversuche sind grausam«
Wie hoch der Anteil qualvoller Experimente heute noch ist, weiß niemand genau. Die Zählung des Landwirtschaftsministeriums erfaßt schmerzlose und schmerzhafte Eingriffe gleichermaßen. Pharmaforscher beteuern, daß die große Mehrzahl der Labortiere vom Versuch nicht viel spürt. Das klingt glaubhaft, denn viele Tests bestehen lediglich im Verabreichen eines Wirkstoffes. Zu diesen alltäglichen Tierversuchen zählen beispielweise Injektionen oder Blutabnahmen. Bei schweren, schmerzhaften Eingriffen werden die Tiere vor dem
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