Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Öko-Häuschen spart. 1 Im übrigen besitzt die ganz gewöhnliche Stadtwohnung verborgene Umweltvorteile: Sie ist in der Regel zwar schlechter isoliert, aber dafür kleiner als ein Einfamilienhaus und von anderen Wohnungen eingepackt. 2
Der Stadtbewohner trägt im Gegensatz zum Häuslebauer weniger zum Flächenverbrauch im dichtbevölkerten Deutschland bei, da er sich zumeist auf bereits besiedeltem Areal niederläßt. Umweltbewußte ziehen am besten in alte Wohnungen, denn das Bauen beansprucht mehr als 70 Prozent der Stoffströme in Deutschland. 3 Wird die gute alte Stadtwohnung obendrein mit Fassadendämmung, Wärmeschutzverglasung und einer effektiven Heizungsregelung umwelttechnisch auf den Stand gebracht, ist sie ökologisch kaum schlagbar. Singles oder Paare (also Menschen, die kein Haus benötigen, um eine Kinderschar unterzubringen) erzielen mit dem Öko-Haus im Grünen zwar einen hübschen Imagegewinn, aber keinen Umweltvorteil.
Vollends widersinnig wird das Öko-Domizil, wenn im Wohnzimmer ein offener Kamin für Gemütlichkeit sorgt. Denn eine solche Feuerstelle ist die schmutzigste und verschwenderischste Form der Wärmeerzeugung, die man sich denken kann. In den USA wurde die schlimmste Luftbelastung der letzten Jahre nicht in einer Industriestadt gemessen, sondern in einer gepflegten Kleinstadt in Oregon, wo offene Kamine zum rustikalen Lebensstil der Wohlstandsbürger gehören. 4
Hinter der grünen Fassade können noch weitere Gefahren lauern. Der Fachjournalist Wolfgang Wirtz recherchierte Herkunft und Inhalt der in Öko-Häusern üblichen Dämmstoffe. Er kam zu dem Schluß, daß einige dieser Wandfüllungen aus Schafwolle und anderen Naturmaterialien weder ökologisch noch gesundheitlich vertretbar sind. Manche werden zum Beispiel mit giftigen Borverbindungen gegen Insektenfraß und Feuer geschützt, andere stammen aus pestizidgeduschter Baumwolle oder haben interkontinentale Transportwege hinter sich. 5 Dagegen sind die herkömmlichen Dämmstoffe aus Glas- und Steinwolle - die früher unter Krebsverdacht standen - durch technische Verbesserungen ungefährlich geworden. Das Umweltbundesamt verlieh modernen Glasfaserprodukten aus Altglas ein ökologisches Gütesiegel und bescheinigte ihnen gesundheitliche Unbedenklichkeit. 6
Ganz ähnlich sieht es bei den Wandfarben aus: Chemieerzeugnisse stehen heute teilweise besser da als Öko-Farben. »Gute Kunstharzfarben kommen längst ohne Lösemittel, Weichmacher und Konservierungsstoffe aus«, schreibt die Zeitschrift »Natur«, warnt aber: »Manche Inhaltsstoffe von Naturfarben sind bedenklich.« Bestandteile einiger Naturfarben stehen im Verdacht, Allergien auszulösen. »Nichts spricht für die These«, sagt Dr. Wolfgang Plehn, Farbenexperte beim Umweltbundesamt, »daß ein Naturstoff gesünder sein soll als ein Produkt der Industrie, nur weil er eben in der Natur vorkommt.« 7
1 Natur, Nr. 3/1993. 2 Wochenpost Nr. 15/1995. 3 Presse-Information der Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt, Nachhaltiges Bauen in Deutschland, 1997. 4 G. Easterbrook, A Moment on the Earth, 1995. 5 Natur Nr. 12/1996. 6 Presseinformation des Bundesumweltamtes, Nr. 28/1997. 7 Natur Nr. 8/1997.
Perspektiven
Langsam spricht es sich herum: Es gibt keine ökologische Regel, die besagt, daß Naturerzeugnisse immer besser seien als Industrieprodukte. Künstliche Materialien sind manchmal sogar umweltverträglicher als Naturstoffe. Der kritische Teil der Öko-Szene hat keine Probleme mit dieser Einsicht. Doch der Zerfall schlichter Weltbilder (»Jute statt Plastik«) hat zu einer schleichenden Spaltung des Milieus geführt. Die Rationalisten legen ein Vorurteil nach dem anderen ab, und die Esoteriker vergraben sich immer tiefer in ihre erdstrahlensichere Biomatratze.
Die hektische Suche nach Gift in Teppich, T-Shirt und Tapete ist abgeflaut. Zu oft wurden in der Vergangenheit nur noch Pseudoskandale aufgedeckt, um schnell ein bißchen Auflage oder Quote zu machen (»Vorsicht: Glykol in Zigaretten!«). Doch die Warentest-Konjunktur der achtziger und frühen neunziger Jahre hatte auch ihr Gutes: Die meisten Unternehmen sind heute vorsichtiger und prüfen ihre eigenen Produkte genauer, bevor sie sie auf den Markt bringen. Demgegenüber sind viele Tester zurückhaltender in ihren Urteilen geworden. Sie haben gelernt, wie schwierig es ist, Waren pauschal als »ökologisch« oder »umweltverträglich« zu bezeichnen. Denn rundum vorteilhafte Produkte gibt es kaum.
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