Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Erzeugnisse, die wenig Ressourcen und Energie verbrauchen, können bei der Entsorgung Probleme bereiten. Biowaren haben zuweilen lange Transportwege hinter sich. Gesundheitsfördernde Stoffe stammen manchmal aus Raubbau an der Natur.
Um alle diese Faktoren unter einen Hut zu bringen, wurden einst Ökobilanzen entwickelt. Seit Mitte der siebziger Jahre versuchen Umweltbehörden, Verbraucherverbände, freie Test-Institute und Firmen, mit solchen Bilanzen zu ermitteln, wie der Werdegang einer Ware die Umwelt belastet. Doch die anfängliche Euphorie ist der Ernüchterung gewichen. »Produkt-Ökobilanzen halten nicht, was sich viele versprachen«, schrieb Bernd Kastner in der Zeitschrift »Natur«. »Sie sind kein objektives Meßinstrument, um die Umweltbelastungen verwandter Produkte miteinander zu vergleichen. Und sie geben keine klaren Antworten, was nun ökologischer ist: Einweg- oder Baumwollwindel?
Milch in der Pfandflasche oder im Verbundkarton? Rapsöl oder Dieselkraftstoff?« 1
Der Aufwand, der betrieben werden muß, um alle Komponenten einer Ware zu überprüfen, ist enorm. Für eine Studie über Getränkeverpackungen, die nur aus wenigen Materialien bestehen, arbeiteten im Auftrag des Umweltbundesamtes drei Institute dreieinhalb Jahre lang. Kosten: über zwei Millionen Mark. Doch Autos oder Computer enthalten weitaus mehr Bestandteile, die alle vom Rohstoff bis zur Entsorgung bewertet werden müßten. In einer ganz normalen Waschmaschine stecken achtzig unterschiedliche Stoffe. 2
Deshalb werden Umweltzeichen auf Produkten in Zukunft wahrscheinlich konkreter und definierter sein. Die EU-Verordnung über die Bezeichnungen »Bio« und »Öko« auf pflanzlichen Lebensmitteln ist ein gutes Beispiel: Die Kriterien, die diese Nahrungsgüter erfüllen müssen, wurden klar festgelegt. Wer heute »Bio« kauft, kann ziemlich sicher sein, daß auch »Bio« drin ist (siehe auch »Mit Bio-Ware wird oft gemogelt«).
Auch weiterhin wird Umweltqualität ein wichtiges Verkaufsargument bleiben. Unbelehrbare Schmutzfinken tun nur ihrer Konkurrenz einen Gefallen. Sogar die Autoindustrie wirbt heute schon mit den ökologischen Pluspunkten ihrer Fahrzeuge. Zwar wird kaum ein Produkt nur deshalb gekauft, weil es ökologisch besser ist (in erster Linie muß es funktionieren, gut aussehen und preisgünstig sein). Doch immer mehr Konsumenten erwarten, daß die notwendigen Umweltkriterien selbstverständlich erfüllt sind.
In den alten Industrieländern verdrängt der Konsum die Arbeit als Medium der Selbstverwirklichung. Ein Teil der Verbraucher wird kritischer und fällt Kaufentscheidungen zunehmend auch unter ethischen Gesichtspunkten. Hersteller, die diese Kunden gewinnen wollen, können ökologische Fragen nicht mehr ignorieren. Der derzeitige Boom der Gütesiegel und Label (unter denen sich auch eine Menge Trittbrettfahrer breitmachen) offenbart diesen Trend. Doch die Trittbrettfahrer tun sich mit ihren Pseudo-Öko-Marken nur kurzfristig einen Gefallen. Wer - ohne etwas zu verbessern - die angebliche Umweltqualität seiner Produkte anpreist, muß mit Nachfragen von Mitarbeitern, Verbrauehern oder Journalisten rechnen. Ohne daß sie es wollen, setzen Öko-Heuchler selbst die Maßstäbe, mit denen sie bald darauf in der Öffentlichkeit gemessen werden.
Der weiteren Entwicklung kann man relativ gelassen entgegensehen, denn vieles erledigt der technische Fortschritt ganz nebenbei. Ein Vergleich heutiger Produkte mit ihren Vorgängern aus früheren Jahrzehnten zeigt: Energieeffizienz, Materialersparnis und Recycelbarkeit sind nicht nur ökologisch wünschenswert, sondern auch ökonomisch sinnvoll.
1 Natur Nr. 12/1995. 2 ebd.
Landwirtschaft
Oft gehört, gern geglaubt
»Landwirtschaft schützt die Natur“
»Die Bauern setzen immer mehr Dünger und Gift ein“
»Nachwachsende Rohstoffe sind gut für die Umwelt“
»Die Ackerböden gehen durch Erosion verloren“
»Die Wüsten werden immer größer“
»Öko-Landbau ist nur etwas für Idealisten“
»Bio-Lebensmittel sind zu teuer«
Perspektiven
Oft gehört, gern geglaubt
In Sachen Landwirtschaft spuken zwei gegensätzliche Öko-Irrtümer durch die Gesellschaft. Irrtum Nummer Eins ist besonders unter romantischen Schöngeistern verbreitet (und kommt der Haushaltskasse zugute). Sie wollen lieber nicht so genau darüber nachdenken, wo Eier und Wurst eigentlich herkommen. Schließlich ist das Schlemmen so angenehm billig geworden. Wer will sich
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