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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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schien nicht sehr sicher zu sein, so wie es in der einsetzenden Brise zitterte und schwankte. Der Wind brachte einen leichten Nieselregen mit sich, der gelegentlich auf ihre Beine trieb. Sie fuhren eine Weile schweigend weiter, bis der eine Offizier auf etwas zeigte. »Sehen Sie, unsere Kohlen-Bunkerstationen!« Er deutete auf die spinnenartigen Gerüste mit ihren spindeldürren Beinen, die sich an der Küste entlangzogen.
    »Wo ist denn die Kohle?«, fragte Albert.
    »In dem Rohr ganz oben. Sie wird in Eimern transportiert, die an einem Laufband im Inneren der Rohre hängen. Eine Bunkerstation kann bis zu dreihundert Tonnen pro Tag laden.« Er sprach mit einer solchen Genugtuung, als habe er diese Meisterleistung selbst ausgeführt.
    Einige Zeit später kippte die Lore nach vorn. Innerhalb des Gerüstes ging es nun auf einer Zahnstange scharf bergab. Ritzel und Zahnräder machten einen Heidenlärm und rüttelten sie so durch, dass ihnen die Zähne klapperten. Hinunter und immer weiter hinunter ging es. Sie stützten sich mit den Füßen nach vorne ab, so dass sie fast vor ihren Sitzen standen. Stahlbalkenkonstruktionen sausten links und rechts an ihren Köpfen vorbei. Die Balken waren grau gestrichen, doch überall waren orangefarbene Roststreifen sichtbar.
    Endlich kam die Fahrt zum Ende. Der vorn sitzende Offizier bediente verschiedene Hebel, das Zahnrad wurde ausgekuppelt, und das Gefährt setzte seine Fahrt waagerecht rollend weiter fort. Im nächsten Moment war die Stahlbalkenkonstruktion nicht mehr zu sehen; die Lore hatte das Gerüst hinter sich gelassen. Nun fuhren sie auf einem Deich hoch über dem morastigen Boden. Die Gleise führten direkt zu einem eigenartigen vierstöckigen Gebäude, das auf allen Seiten von einer Veranda umgeben war. Es erhob sich über einem stufenförmigen weißen Marmorsockel, der sich scharf vom dunklen Hintergrund der Kohlenpyramiden abhob; das Haus selbst war gelb, rosa und lila gestrichen und wirkte völlig fehl am Platz.
    »Die Gouverneursresidenz!«, verkündete der eine Offizier mit hörbarem Stolz.
    »Hier residiert Sir Peggerton Poltney!«, fügte der zweite Offizier hinzu.
    »Und Lady Peggerton Poltney.«
    »Und die Peggerton-Poltney-Familie.«
    Während sie weiter den Deich entlangfuhren, wies der vorn sitzende Offizier auf ein Gebäude. »Zu Eurer Rechten seht Ihr unsere Kasernen. Zu Eurer Linken«, fuhr er fort, »seht Ihr das Sträflingslager.«
    Die Kasernen bestanden aus etwa einem Dutzend Wellblechbaracken, die Sträflingsunterkünfte aus Holzhütten und Schuppen hinter einem Maschendrahtzaun, der mit Stacheldraht bekrönt waren. Etliche Sträflinge standen dort und reckten ihre Hände durch die Maschen des Zauns, während die Lore an ihnen vorbeifuhr. Sie trugen weite braune Uniformen aus Sackleinen mit Nummern, die mit Schablonen auf den Rücken gemalt worden waren.
    »Nicht so fügsam wie Ihre Gesindlinge«, bemerkte der Offizier. »Leider fehlen uns Ihre chirurgischen Methoden, um richtige gehorsame Gesindlinge aus ihnen zu machen. Wir müssen sie deshalb dauernd prügeln.«
    Col spürte die unterdrückte Wut von Riff, Lye und Dunga wie eine Hitzewelle in seinem Rücken. Er betete, dass sie sich nicht verrieten.
    An das Sträflingslager schloss sich eine Fläche mit traurigen schwarzen Pfützen an, die teilweise schon die Größe kleiner Teiche hatten. An die Kasernen auf der rechten Seite grenzte ein Magazinbereich; dort lagerten aufeinandergestapelt rostige Räder, Rohre und andere Industrieprodukte. Wellblechdächer schützten die Stapel vor Regen.
    Und nun wuchs direkt vor ihnen die Marmortreppe der Gouverneursresidenz aus dem matschigen Boden. Sie hob sich von ihm ab wie ein weißer Strand von einer schwarzen See. Auf den Stufen der Marmortreppe mühten sich drei weibliche Sträflinge unter der Aufsicht eines Soldaten in roter Uniformjacke, der eine Knute in der Hand hielt, damit ab, einen roten Teppich zu entrollen. Den Nieselregen schienen sie nicht zu spüren.
    Abrupt hielt die Lore vor den Stufen. Weiße Dampfwolken umschwebten die Passagiere. Der Soldat versteckte die Knute hinter seinem Rücken, nahm Haltung an und salutierte.
    Die Offiziere führten Victoria, Albert und Col auf den roten Teppich. Sie gingen an den Sträflingsfrauen vorbei, die mit gesenkten Köpfen dastanden. Die Gesindlinge wurden angewiesen, den Teppich nicht zu berühren, sondern außen auf den nackten Stufen zu bleiben. Wie von Zauberhand schwangen die Türen der Residenz vor

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