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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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Gouverneursresidenz. Das Tischtuch bestand aus einem großen Union Jack, die Servietten waren kleinere Versionen desselben. Schlammspritzer sprenkelten das feine weiße Porzellan.
    »O làlà!« Lady Poltney hatte sich auf dem Weg zum Lunch mit Handschuhen und einem Fächer ausgestattet und benutzte den Fächer nun wie eine Fliegenklatsche. »Schlamm ist ein großes Problem, da stimmt Ihr mir sicherlich zu.«
    Der Nieselregen war inzwischen einem starken Regen gewichen, der auf die Markise über ihren Köpfen trommelte. Die farbenfrohen Wimpel, die an der Markise befestigt waren, hatten sich mit Wasser vollgesogen und hingen schlaff und traurig herab. Über die großen schwarzen Pfützen und kleinen Teiche hinweg blickten sie direkt auf das Sträflingslager.
    Unter Aufsicht hatten Sträflinge Topfpflanzen auf das Dach getragen und so einen grünen Kreis um den Tisch gebildet. Riff, Lye und Dunga standen wartend außerhalb dieses Kreises wie geduldige Tiere. Andere Sträflinge hatten Musikinstrumente hinaufgetragen und waren mit den Vorbereitungen für ein Platzkonzert beschäftigt.
    Lady Poltney gab sich alle Mühe, eine perfekte Gastgeberin zu sein. Col fühlte sich allerdings abgestoßen von der Art, wie sich ihre Wimpern hoben und senkten – ganz langsam und schwer, als schliefe sie gleich ein. Ebenso unangenehm war ihre Stimme, die ständig zwischen einem tiefen Dröhnen und einem hohen Trillern changierte.
    »Oh, da kommen ja die Hors d’œuvres«, trillerte sie.
    »Ihr müsst den Tintenfisch kosten«, dröhnte sie.
    »Wem darf ich unseren …« – das Dröhnen verwandelte sich wieder in ein Trillern – »… köstlichen Maulbeerwein kredenzen?«
    Sie selbst aß kaum etwas. Vielleicht war das dem allzu festen Sitz ihrer Handschuhe geschuldet, der ihr kaum erlaubte nach etwas zu greifen. Col, der ihr gegenübersaß, konnte sich dem strengen Geruch nach Mottenkugeln, der ihrer Kleidung entströmte, nicht entziehen.
    Sir Peggerton gab sich gar keine Mühe, den perfekten Gastgeber zu spielen. Er zog ständig an seinem falsch geknöpften Vatermörder, von Mal zu Mal ärgerlicher. Außerdem hatte er seine Accessoires vergessen. Erst verlangte er nach seiner Taschenuhr, als nächstes ließ er sich seine silberne Schnupftabaksdose bringen, danach sein lavendelfarbenes Taschentuch.
    »Er ist nämlich sehr heikel, müsst Ihr wissen«, teilte Lady Poltney ihren Gästen voller Stolz mit.
    Die einzelnen Gänge wurden höchst unregelmäßig serviert. Die Sträflings-Hausdiener, die Union-Jack-Westen trugen, waren mürrisch und ungeschickt. Sie ließen Geschirr fallen, kleckerten beim Servieren mit dem Essen und verschütteten Getränke. Col hatte Ruß in seiner Suppe, und inmitten seines Kartoffelpürees lag eine rostige Schraubenmutter.
    Bei jedem neuen Missgeschick reckte Sir Peggerton seinen Hals und gab ein indigniertes Geräusch von sich – ein Mittelding zwischen Zischen und Knurren: »Zzzzrrrr.« Offenbar fühlte er sich nicht besonders wohl.
    Und dann war da noch das Problem mit den Käfern. Sie kamen durch das schmiedeeiserne Gitter angeflogen und warfen sich im wahrsten Sinne des Wortes auf die Speisen. Lady Poltney schlug mit ihrem Fächer nach einem von ihnen. Allerdings machte der Schlag nicht nur den Käfer platt, sondern setzte den ganzen Tisch in Bewegung, zerschlug die Terrine und bewirkte, dass Hackbratenstücke durch die Gegend flogen.
    »Zzzzrrrr. Zzzzrrrr.«
    Lady Poltney schreckte zurück, als ihr Mann seinen Kopf in ihre Richtung herumriss. »Das hätte ich wohl nicht tun sollen, nicht wahr?«, fragte sie in demütigem Ton.
    Sir Peggerton machte sich an seiner Taschenuhr zu schaffen, spielte mit seiner Schnupftabaksdose und fand seine Fassung wieder. Mit verdoppelter Höflichkeit wandte er sich an Victoria. »So eine Schande, Eure Majestät. Wir hätten ein großartiges Bankett für Euch ausgerichtet, wenn Ihr uns bloß vorab in Eure Reisepläne eingeweiht hättet!«
    Victoria erwiderte nichts, aber ihre Stirn zeigte unter dem Gewicht der Krone wieder die tiefe Furche. Col wusste, was ihr ernster Blick bedeutete: Kopfschmerzen.
    »Für Euren Vorgänger, König Georg, haben wir zwei Tage und drei Nächte währende Festivitäten aufgezogen. Sechzig gebratene Pfauen. Hummer, Krabben und Langusten. Die feinsten lokalen Spezialitäten, die feinste Konversation. Mindestens drei Tage und vier Nächte lang.«
    Lady Poltney legte ihren Fächer auf den Tisch, nachdem sie verstohlen die Fleischstückchen

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