Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
so von Göttergestalten und abergläubischen Kulthandlungen. Wenn das mit diesem Jesus Christus und den Christen ebenso harmlos gewesen wäre, hätte man die Stellen wohl kaum ausgemerzt und die Geschichten umgeschrieben, oder? «
» Da hast du recht. So einen großen Aufwand betreibt niemand ohne Grund « , pflichtete sie ihm bei. » Das mit dem ›Lug und Trug‹ stimmt also. Jetzt fragt sich nur, ob wir auch alles andere von Seywards Nachricht ernst nehmen müssen. «
» Bitterernst sogar! « , stellte Dante schonungslos fest. » Auf uns Servanten wartet ein Sklavenleben unten in Eden! Und auf euch im Lichttempel der sichere Tod! «
Kendira fror plötzlich und ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie dachte an Colinda und Leota, an Fay und Samarra, an Duke und all die anderen aus ihrem Alpha-Level, die schon vor Stunden im Lichttempel eingetroffen waren… Eine grauenvolle Vorstellung, zu unerträglich, um wahr zu sein.
» Nein, das kann ich nicht glauben! « , stieß sie mit belegter Stimme hervor. » Nein! Das – kann – nicht – sein! « Sie betonte jedes Wort mit geradezu beschwörendem Nachdruck. Niemals würde sie akzeptieren, dass all ihre Freunde, die das Lichtschiff kurz vor Morgengrauen abgeholt hatte, im Lichttempel den Tod gefunden hatten. » Es würde auch gar keinen Sinn ergeben, Dante! Achtzehn Jahre lang werden wir unter großem finanziellem, technischem und personellem Aufwand aufgezogen, intensiv ausgebildet– und dann sollen wir abgeholt und im Lichttempel ermordet werden? Das wäre doch völliger Schwachsinn! Welchen Zweck sollte das haben? «
» Ich gebe zu, es klingt absolut irrsinnig, und ich wüsste auch nicht, welchem Zweck das dienen könnte « , sagte Dante. » Vielleicht meinte Seyward das mit dem ›sicheren Tod‹ ja gar nicht wörtlich, sondern in irgendeinem übertragenen Sinn. «
Kendira stutzte plötzlich und zog die Brauen zusammen. » Aber wenn ihr schon so vieles herausgefunden habt, was wollt ihr dann noch im Kontrollraum der Tube? «
» Das mit der Bibel und diesem Jesus ist nur ein kleiner Teil von dem, was Seyward verbotenerweise auf seinem Tablet hatte. Vielleicht sind dort noch Informationen verborgen, die uns helfen können, hinter die Wahrheit zu kommen. Nur so können wir erfahren, was hier mit uns getrieben wird und… und was euch im Lichttempel erwartet « , erklärte Dante. » Das setzt jedoch voraus, dass Jaydan die gelöschten Dateien wiederherstellen kann. Bei den Romandateien ging das relativ leicht. Aber offenbar hat Seyward einige noch viel gefährlichere Texte besonders gesichert und sogar verschlüsselt. «
» Und was gibt es im Kontrollraum der Tube, das Jaydan dabei helfen kann, diese Dateien wiederherzustellen und zu entschlüsseln? «
» Ein Nebenraum ist als Computerwerkstatt eingerichtet und mit Diagnostikgeräten und anderem Computerkram ausgestattet, um gleich vor Ort aufFehlersuche gehen und dann Reparaturen vornehmen zu können. Und mit Hilfe dieser Geräte glaubt Jaydan, auch an die anderen versteckten und besonders geschützten Dateien heranzukommen. «
Kendira sah ihn mit großer Sorge an. » Und ihr glaubt wirklich, es ist das Risiko wert, das ihr damit auf euch nehmt, Dante? «
Er erwiderte ihren Blick mit einem Lächeln und nickte. » Du hast recht, es gibt nur wenige Dinge, für die es sich lohnt, das eigene Leben einzusetzen. Aber ich habe jetzt sogar zwei davon… «
» Und die wären? « Ihre Stimme war kaum lauter als das leise Flüstern der Blätter über ihr im warmen Wind.
» Die Freiheit und die Liebe « , sagte Dante.
37
Er fühlte sich zerschlagen, ausgelaugt und müde bis auf die Knochen. Aber es war eine Müdigkeit, die nicht auf mangelndem Schlafberuhte. Zumindest nicht in ihrem Kern. Es war eine Erschöpfung der Seele, die ihn quälte und ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Und mit jedem Tag, an dem er seine schändliche Rolle im Konvent der Oberen zu spielen gezwungen war, wuchs in ihm der Selbstekel, aber auch die Hoffnungslosigkeit.
Rastlos wanderte er in seinem Privatquartier zwischen Erkerfenster und Schreibtisch auf und ab. Dort lag auf der Schreibunterlage vor dem gerahmten Foto seiner Familie ein ledergebundenes, abgegriffenes Buch. Er hatte es schon vor einer guten halben Stunde aus seinem Versteck hinter einer der Holzpaneelen hervorgeholt, mit denen die Wände seines Arbeitszimmers verkleidet waren. Aber er wagte es nicht, sich am Schreibtisch niederzulassen, das Buch aufzuschlagen und sich seiner mehr
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