Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
Seeufer. Augenblicke später führte er sie in einer scharfen Biegung um eine alte Sykomore und eine Reihe von Büschen herum, die bis nahe ans Wasser reichten. Etwa zwanzig, dreißig Schritte weiter vollführte der Weg eine zweite Biegung, sodass sich diese kurze Strecke wie ein S am Ufer entlangschlängelte.
Was dann innerhalb weniger Sekunden geschah und zur Tragödie führte, war eine schicksalhafte Verkettung von Zufällen, die unglücklicher nicht hätten sein können. Doch obwohl alles unglaublich schnell seinen unheilvollen Lauf nahm, brannte sich das Geschehen wie in Zeitlupe in Kendiras Gedächtnis ein. Und dort sollte es wie ein kurzer Videoclip immer wieder aufs Neue vor ihrem inneren Auge ablaufen.
Es begann damit, dass Sinfora wenige Schritte hinter der ersten Biegung stehen geblieben war. Ein gelber Zitronenfalter hatte sich auf ihre linke Schulter gesetzt und flatterte gerade davon, als Kendira und ihre Freundinnen das grazile Mädchen vor sich erblickten.
Sinfora lachte, winkte ihnen zu und blickte dem davonfliegenden Schmetterling nach. » Hast du das gesehen, Hailey? Er saß eine ganze Weile auf meiner Schulter! «
Zur selben Zeit kam ihnen Zeno aus der anderen Richtung entgegen, wo der Weg eine zweite scharfe Biegung machte. Als der Zitronenfalter von Sinforas Schulter davonflog, befand Zeno sich nur noch sechs, sieben Schritte von der Stelle entfernt, wo das Delta-Mädchen bei den ufernahen Büschen stand.
In dem Moment fuhr ein Windstoß durch das Geäst der Sykomore. Das dichte Laubkleid antwortete mit einem Rascheln und Raunen. Gleichzeitig löste sich ein gelbliches Blatt aus einem verlassenen Vogelnest, in dem es bestimmt schon wer weiß wie lange gelegen hatte.
Es flatterte aus dem Geäst und auf Sinfora zu wie kurz vorher der prächtige gelbe Falter.
Sinfora stand mit dem Gesicht nach Südwesten, blinzelte in die Sonne und sah etwas auf sich zuflattern, ohne es wohl richtig zu erkennen.
Kendira, Nekia und Hailey waren schon fast bei Sinfora, und auch Zeno trennten nur zwei, drei Schritte von ihr, als das Delta-Mädchen spontan nach dem durch die Luft tanzenden Blatt griff, als dieses sich in Reichweite befand und nah an ihr vorbei zu Boden segeln wollte.
Ein eisiger Schreck fuhr Kendira durch die Glieder, als sie sah, dass es sich um das typisch gelbliche Papier handelte, das die Nightraider für ihre Flugblätter verwendeten.
In der Reihe der drei Freundinnen ging Hailey links außen, nahe bei den Büschen. Sie war Sinfora deshalb auch am nächsten, als diese das Blatt aus der Luft fischte. Mit einem Ruck, als wäre sie gegen eine Wand geprallt, blieb sie vor ihr stehen.
» Seht doch, was mir da aus dem Baum in die Hand geflogen ist! « , rief Sinfora fröhlich und blinzelte mit wässrigem rechtem Auge ins Sonnenlicht. » Halt doch mal kurz, Hailey. Ich glaube, mir ist ein Staubkorn oder so was ins Auge geweht. « Damit drückte sie Hailey das Flugblatt gedankenlos in die Hand.
Und Hailey, übertölpelt von ihren Reflexen, nahm das Flugblatt ganz willkürlich an.
Nekia stieß einen erstickten Laut aus.
Fassungslos starrte Kendira Hailey an. Für einen Moment schien die Zeit zum Stillstand gekommen zu sein. Kendira sah ganz deutlich, wie sich der Ausdruck aufHaileys Gesicht verwandelte. Auf den flüchtigen Moment der Verblüffung folgte die von Entsetzen erfüllte Erkenntnis, was sie da soeben getan hatte und welche Konsequenzen das für sie haben würde.
Wie gelähmt stand sie da, die Hand um das Papier gekrallt.
Auch Kendira und Nekia schienen wie von einem Bann befallen zu sein und rührten sich nicht von der Stelle. Dass dieser Moment, der ihnen qualvoll lang vorkam, in Wirklichkeit nicht länger als eine Schrecksekunde gewesen sein konnte, kam ihnen erst später zu Bewusstsein.
Sinfora rieb sich, den Kopf aus dem direkten Sonnenlicht zur Seite gewandt, das noch immer juckende Auge.
Es war Zeno, der in dieser Situation eine überragende Geistesgegenwärtigkeit und Reaktionsschnelligkeit bewies. » Habt ihr den Verstand verloren? « , stieß er hervor, während er mit einem Satz bei Hailey war, ihr das Flugblatt aus der Hand riss und es halb zerknüllt von sich schleuderte.
» Was ist denn? « , rief Sinfora verwundert und wandte sich wieder zu ihnen um.
Hailey hatte das Blatt mit so viel Kraft festgehalten, dass ein kleines Stück davon abriss und zwischen ihren verkrampften Fingern stecken blieb.
Zur Verkettung der unglücklichen Zufälle gehörte nun, dass das
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