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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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anderen nickten und sie fuhren im Schritttempo noch ein kleines Stück.
    »He, seht mal!«, rief Mose. »Steht dahinten nicht Ernestos Beetle?«
    »Hey, ja, du hast recht«, sagte Ronan erleichtert und parkte sein Auto ganz in der Nähe von Ernestos Wagen. »Erste Spur«, sagte er zufrieden, zog den Zündschlüssel aus dem Schloss und steckte ihn ein.
    »Fast sieben Uhr dreißig, schon«, sagte Mose, als sie in der Ferne die Hütte endlich ausmachen konnten, und nachdem er einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hatte. Flavio humpelte mit verbissener Miene neben ihnen her, aber er stolperte kein einziges Mal.
    »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg«, knurrte er ungehalten, wenn einer der Jungen ihm helfen wollte. »Allerdings kein guter, zum Teufel!« Er spuckte auf den unwegsamen Waldboden zu seinen Füßen.
    »Achtung, tückische Dreckswurzel voraus«, rief Darayavahush und machte, trotz der Sorge um Ernesto und das Waldmädchen, ein triumphierendes Gesicht, während er die Wurzel, über die er zu stolpern pflegte, mit einem großen Schritt überstieg.
    »Und was, wenn das Mädchen immer noch weg ist, wie Jaden es vorausgesagt hat?«, sagte Mose plötzlich. »Und Ernesto hat sich verlaufen?«
    Niemand antwortete. Denn sie waren da.
    Liberty Bell hatte sich am Teich gewaschen, war in eine andere Bluse geschlüpft und in einen weiten schwarzen Rock mit Fransen, der alt und sehr abgetragen aussah. Außerdem hatte sie die Biberratten in den Käfigen versorgt, die Hütte ausgefegt, einen Tee aus Kräutern gekocht, merkwürdig benommen wirkende Heuschrecken vom taunassen Gras gesammelt, ein Feuer entfacht, einen Klumpen Fett, der streng roch, in der Pfanne vom Vorabend erhitzt und eine Art Heuschreckenragout zubereitet. Dazu gab es Nüsse und Beeren.
    Eve plus Nachkommen krabbelten um sie herum, ab und zu lächelte Liberty Bell ihnen zu, aber sie sagte kaum etwas.
    Ernesto fühlte sich eigenartig. Ungeputzte Zähne, keine Bürste, keine Dusche, keine frischen Sachen zum Anziehen, dafür war er genau wie Liberty Bell verstohlen zwischen die Büsche getaucht, um wenigstens pinkeln zu gehen. Sein Magen knurrte, was kein Wunder war. Es war eine Ewigkeit her, dass er etwas gegessen hatte.
    Sonntag… Hey, heute war Sonntag. Sonntag war Pizzatag. Schon seit fast drei Jahren pflegten er und seine Freunde dieses Ritual: Sonntags aßen sie ihr Frühstück am Mittag, ihr Mittagessen am Abend und ihr Abendessen in der Nacht. Und jedes Mal Pizza.
    »Wenn wir das noch ein paar Jahre durchhalten, fangen wir vielleicht eines Tages automatisch an, italienisch zu sprechen. Wär doch super! Und einen Versuch ist es wert«, sagte Salvador oft.
    Aber ob er Heuschrecken würde essen können? Unsicher betrachtete Ernesto die gebratenen Tierchen, die tot und zubereitet immer noch verdammt lebendig aussahen. Eben nur braun statt grün.
    Und was war das? Trotz komplett leerem Magen spürte er, dass er zur Toilette musste. Wie nannte Darayavahush es immer? Leute, ich glaube, ich muss ein gigantisches Ei legen! Und dann riegelte er sich eine Ewigkeit lang auf der Toilette ein, egal wo sie gerade waren. Hinterher rief er manchmal spaßhalber: »Ein Wahnsinnsding! Ich hab’s noch nicht weggespült! Will es einer sehen? Ich glaube, ich hab mal gelesen, anhand der Größe des großen Geschäfts kann man voraussagen, wie potent ein Mann ist!«
    Ernesto fühlte sich unwohl. In Filmen oder Büchern hatten die Helden nie das Problem, dringend zur Toilette zu müssen. Verdammt!
    Eigentlich lief ihm die Zeit weg. Eigentlich musste er dringend zu einem Entschluss kommen. Eigentlich sollte er längst versucht haben, Liberty Bell begreiflich zu machen, was da auf sie zukam. Stattdessen lächelte er ihr vage zu und verdrückte sich schon wieder in die Büsche.
    »Klasse, jetzt weiß ich endlich, wie Dalí sich fühlt, wenn er im Gebüsch hockt und sein Geschäft erledigt …«, schoss es Ernesto sarkastisch durch den Kopf.
    Auf dem Rückweg fiel sein Blick auf den Erdhügel, den Liberty Bell bei ihrem ersten Besuch mit Blumen geschmückt hatte. Beim näheren Hinsehen sah Ernesto, dass es im Grunde gar kein Erdwall war, sondern eher ein Gebilde aus Steinen, die ähnlich angerichtet waren wie die Steine auf der kreisrunden Lichtung, auf der er Liberty Bell gestern wiedergefunden hatte. Nur dass diese Steine hier viel höher aufgeschichtet waren. Ein Steinwall. Es war ein Steinwall, über den verschiedene Pflanzen wucherten. Kletterpflanzen, langfingriges

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