Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
Vom Netzwerk:
Unkraut und blühende Winden mit kleinen weißen Blüten, deren intensiver Duft es überhaupt gewesen war, der Ernesto dazu gebracht hatte, dort hinüberzusehen.
    Vorsichtig trat er näher. Hatte Liberty Bell diesen Steinwall aufgebaut? Und wenn ja, zu welchem Zweck?
    Die Sonne ist jetzt komplett da. Eine Lichtquelle, die man unmöglich direkt ansehen kann, ohne dass einem die Augen schmerzen. Ernesto kniet sich hin, über seinem Kopf kreischen schon wieder ein paar Krähen. Seine Hände berühren die kühlen Steine. Er atmet ein und aus. Ein und aus. Ein und aus. Der Duft der Blüten ist wahnsinnig intensiv. Morgenwind rauscht durch den Wald. Rauscht in Ernestos Ohren und Schweiß schiebt sich unter seine Achseln. Jetzt könnte er Darayavahushs Deo gut gebrauchen.
    Dann sieht er es, es starrt ihn direkt an, aus den Tiefen des Steins, er sieht es und seine zitternden Finger zucken zurück und der Schreck fließt über sein Gesicht, seine Lippen, hinab in seine Kehle.
    Er roch und spürte sie, bevor er sie hörte. Sie war dicht neben ihm, fasste ebenfalls die Steine an, tastete mit den Fingerspitzen nach dem, was er eben entdeckt hatte, und berührte es sachte, streichelte es.
    »Hier ist… meine Mommy«, flüsterte Liberty Bell und ihre hellen Augen sahen traurig aus.
    Wamm! So war das also. Ernesto musste seinen ganzen Mut zusammennehmen, um erneut den Mund aufzumachen. Verdammt, hatte er nicht riesigen Spaß gehabt, als Darayavahush vor einer Weile Staffel für Staffel die Serie Bones – Die Knochenjägerin angeschleppt hatte?– War Ernesto je zusammengezuckt, wenn die durchgeknallte, forensische Anthropologin Dr. Brennan Skelette aus der Erde holte und untersuchte? Fratzenhafte Totenköpfe unter die Lupe genommen hatte? Natürlich nicht. Je mehr Leichen, desto besser die Folge! Und hatte er nicht als ungefähr Zwölfjähriger geradezu eine Leidenschaft für T-Shirts gehabt, die mit Totenköpfen bedruckt waren?
    Also, was war los mit ihm, zum Teufel?
    »Liberty Bell… was – ich meine… warum?«, sagte er leise und starrte wie hypnotisiert auf den grotesken Totenschädel, der halb verborgen zwischen den Steinen ruhte. Ein heller Schädel, leere Augenhöhlen, ein grotesk grinsender Mund. Mund? Nein, nur Zähne, zwei Reihen gelblicher Zähne, die ihm diabolisch zuzulächeln schienen und verschoben aufeinanderstanden, was den Anblick noch schrecklicher machte.
    »Amen«, flüsterte Liberty Bell in diesem Moment. Sie holte tief Luft und sah Ernesto an. »Gottes kleinste Geschöpfe haben sie so verändert.« Tränen liefen über ihr schmales Gesicht. »Ich gehe jeden Tag zu ihr. Ich spreche mit ihr, tröste sie. Und bete für sie.«
    Was? Wie bitte? Gottes kleinste Geschöpfe? Was redete Liberty Bell da bloß? War sie am Ende doch – verrückt, wie Darayavahush es vermutete? Und war das Skelett da zwischen den Steinen tatsächlich ihre – Mutter? Hatte sie sie dort begraben?
    Ernesto rührte sich immer noch nicht. Er musste an die geschlachteten Tiere denken. Und an die Art, wie Liberty Bell sich gegen Cal gewehrt hatte. Konnte es sein, war es möglich, dass sie…?
    »Bevor sie – einschlief, küsste sie mich«, flüsterte Liberty Bell in dieser gepressten Art, in der sie immer sprach. »Sie erzählte mir von Gott. Und auch… von – Robby. Und sie ließ noch einmal ihre – Augenhärchen für mich tanzen, wie früher, als ich ganz klein war…«
    In diesem Moment hörte Ernesto Schritte, die hier nicht hergehörten. Erschrocken, unendlich erschrocken fuhr er herum. Liberty Bell machte es ihm nach. Er hatte das Gefühl, dass sie neben ihm schrumpfte. Für den Bruchteil einer Sekunde umklammerte sie seinen Arm, dann glitten ihre Finger wieder ab.
    »Salva…«, stotterte Ernesto erleichtert und entsetzt zur gleichen Zeit. Heißes Blut pumpte durch seinen Körper. Hastig sprang er auf. Liberty Bell kauerte mit hängenden Armen neben ihm wie ein Kaninchen vor der Schlange. Erstaunlicherweise versuchte sie nicht zu flüchten, wie Ernesto es einen Moment befürchtet hatte. Aber sie begann zu zittern und fast gegen seinen Willen berührte Ernesto wieder ihren Scheitel, wie er es in der vergangenen Nacht getan hatte.
    Salvador und die anderen blieben stehen.
    Salva. Darayavahush. Mose. Ronan. Und dazu, warum auch immer, der alte Flavio.
    Ernestos Augen flogen von einem zum anderen.
    »Hey, du lebst«, sagte Mose erleichtert. »Und du hast dich nicht verirrt und bist in irgendeinen Sumpf geraten und qualvoll

Weitere Kostenlose Bücher